Pendereckis "Die Teufel von Loudun" setzt mich unter Starkstrom

Foto: Vladimir Jurowski © Simon Pauly

Bayerische Staatsoper, München, 27. Juni 2022 PREMIERE

Die Teufel von Loudun
Oper in drei Akten von Krzysztof Penderecki
Uraufführung in Hamburg, 20. Juni 1969
Premiere im Nationaltheater am 27. Juni 2022

Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper
Musikalische Leitung   Vladimir Jurowski

von Frank Heublein

An diesem Abend findet die Premiere der Produktion Krzysztof Pendereckis Die Teufel von Loudun der Bayerischen Staatsoper im Nationaltheater in München statt. Das Libretto geht auf historische Vorgänge der 1630er Jahren zurück. Im Mittelpunkt steht Stadtpfarrer Grandier und der Versuch, diesen als Verbündeten des Teufels hinzustellen, seine Vernehmung und seine Folterung und die öffentliche Hinrichtung durch Verbrennung bei lebendigem Leib.

Das Drama beginnt schon vor dem Start. Denn Wolfgang Koch, der die Hauptpartie des Grandier singen sollte, wurde kurz vor der Generalprobe positiv auf Covid getestet. Serge Dorny verkündet die Lösung: Bariton Jordan Shanahan singt vom Orchestergraben aus und Residenztheaterschauspieler Robert Dölle spielt und spricht auf der Bühne. Alles erlernt in 4 Tagen. Beeindruckend! Dieses Duo lässt mich fragen, wie Wolfgang Koch diese Tortur denn überhaupt als Einzelner bewältigen kann? Es gibt noch Karten für die Folgeaufführungen mit ihm. Das Duo überzeugt mich! Bariton Jordan Shanahan ist stimmlich präsent und verschmilzt mit Robert Dölles schauspielendem Körper. Außergewöhnlich gelungen. Für mich ergibt sich die emotionale Dynamik im Wechsel von Gesang und Sprechtext. Diesen dramatisierenden Übergang meistern die beiden bravourös. Dieser Charakter hat unvereinbare Gegensätze. Grandiers tiefer Glaube, der auch schlimmster Folter standhält. Seine Feinde, der Chirurg und der Apotheker, lässt die Folter hingegen zusammenbrechen. Sie müssen das grausame Handeln am Körper Grandiers ausführen. Zugleich ist Grandier ein Priester, der offen das Zölibat bricht. Nicht etwa zweifelnd, sondern bewusst, aktiv und ohne Vorbehalt. Ich begleite diesen komplexen, changierenden und gerade dadurch ehrlichen und menschlichen Charakter atemlos. „Krzysztof Pendereckis, Die Teufel von Loudun
Bayerische Staatsoper, München, 27. Juni 2022 PREMIERE“
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Longborough zeigt die „Die tote Stadt“ -  mit einer grandiosen Ersatz-Sopranistin und einem Tenor, der an seine Grenzen gerät

Vor drei Jahrzehnten aus einfachsten Ursprüngen in einer Scheune entstanden, hat sich das Longborough Festival Opera neben namhaften Sommer-Opernfestivals wie Glyndebourne, Garsington und den beiden Grange Festivals mit ihren eleganten Picnics in Smoking oder Black Tie inmitten der weitläufigen englischen Parkanlagen in der prolongierten großen Pause als qualitativ hochstehender Aufführungsort etabliert. Ambitiös konzipiert als das „englische Bayreuth“ und spezialisiert auf Wagner-Opern hat Longborough längst sein Repertoire erweitert und glänzt mit einem breit gefächerten Spektrum von Werken, das allein dieses Jahr von Wagners „Siegfried“ zu „Carmen“ reicht. So ziemlich in der Mitte liegt Korngolds „Tote Stadt“.

Die Tenorrolle des Paul ist zugegebenermaßen teuflisch schwierig und Peter Auty stieß denn auch mehrfach – leider auch in dem vom Tenor abschließend gesungenen, so berührenden „Marietta-Lied“ – in den höheren Tonlagen geradezu schmerzhaft an seine Grenzen. „Glück, das mir verblieb“, vom unsterblichen Marcel Prawy einst nicht ganz zu Unrecht als „der letzte Ohrwurm der Operngeschichte“ apostrophiert, geriet hier leider zum etwas verunglückten Ausklang dieser sonst sehr guten Aufführung. Doch zur großen Überraschung, wenn nicht gar zur eigentlichen Sensation des Abends geriet Rachel Nicholls, eine extrem vielversprechende junge Sopranistin, welche kurzfristig von der verhinderten Noa Danon die ebenfalls sehr anspruchsvolle Doppelrolle der Marie/Marietta übernommen hatte.

Longborough Festival Opera, 27. Juni 2022

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, gesungen in deutscher Sprache

von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)

Angekündigt war diese Aufführung als „halbszenisch“, doch das auf der Bühne (Nate Gibson) unter der Regie von Carmen Jacobi Gezeigte war zwar konventionell, aber durchaus so berührend, wie diese Oper nur sein kann: Die Bühne war verhangen mit teils leeren, teils mit Fotos der verstorbenen Marie gefüllten Bilderrahmen, unzähligen Kerzen als Schrein für die Lebend-Tote sowie dem obligaten Bilderrahmen, aus dem die tote Marie herauskommt und Marietta hineinschreitet. Die karnevalesken Figuren in ihren schwarzen, weiß bemalten Totenmasken wirkten allerdings etwas unbeholfen und erinnerten an ein Totenritual in irgendeiner, vielleicht mexikanischen Provinzstadt.

Das eigentliche Problem dieser Aufführung war leider die psychologisch so anspruchsvolle Hauptfigur Paul, der – die Oper wurde ja inmitten der aufkommenden Tiefenpsychologie Freuds und in dessen Stadt Wien komponiert – den Tod seiner geliebten Frau Marie nicht verkraftet, sie im Geiste weiterleben lässt und sich dann in die frivole und ebenfalls sehr attraktive Tänzerin Marietta verliebt, die er für die zurückgekehrte Gattin hält. Die musikalisch-stimmlichen Herausforderungen an die Figur des Paul sind geradezu brutal und ein Tenor, der diese bewältigt, muss sein Metier fast heroisch beherrschen. Peter Auty soll dies in den vorangegangenen Aufführungen geleistet haben – leider nicht in dieser: „Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt
Longborough Festival Opera, 27. Juni 2022“
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Evgeny Kissin verzaubert noch immer

Foto: 2019 in Essen © Sven Lorenz

Der Klavierabend in Wuppertal darf getrost als Sternstunde bezeichnet werden 

Wuppertal, Historische Stadthalle, 27. Juni 2022

Klavier-Festival-Ruhr
Evgeny Kissin

Johann Sebastian Bach (1685-1750) – Toccata und Fuge in d-Moll, BWV 565 (Bearbeitung für Klavier von Carl Tausig)

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) – Adagio in h-Moll, KV 540

Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Klaviersonate Nr. 31 in As-Dur, op. 110

Frédéric Chopin (1810-1849) – Mazurken opp. 7/1, 24/1, 24/2, 30/1, 30/2, 33/3, 33/4; Andante spianato et Grande Polonaise Brillante in Es-Dur op. 22

 von Brian Cooper

Dies wird wohl eine ziemlich persönliche Kritik, denn es geht um einen Pianisten, der in meinem musikalischen Leben eine ziemlich wichtige Rolle spielt. Niemandem bin ich so häufig nachgereist, und niemand hat mich am Klavier so oft so sehr bewegt, beeindruckt und begeistert wie Evgeny Kissin. („Klassik begeistert“ eben, der Kalauer sei erlaubt.) Neutralität gibt es hier also nicht, die Leserschaft sei gewarnt.

Gut in Erinnerung ist mir meine jugendliche Empörung ob der Aussage eines Bekannten, der zwar zu allem eine Meinung hat, was mit Musik zu tun hat, aber irgendwie nie im Konzertsaal zu sehen ist, und der den damals etwa 20jährigen Kissin herablassend als „begabten Jungen“ abtat.

Dieser begabte Junge hat im zarten Alter von 13 mal eben beide Chopin-Konzerte eingespielt, und ich wurde Zeuge, wie der Dirigent von damals, Dmitri Kitajenko, Jahrzehnte später beim Signieren des Booklets dieser RCA-Aufnahme glänzende Augen bekam.

Ich habe mal nachgeschaut und auf Anhieb ein Programmheft gefunden: Am 28. Februar 1998 gab Kissin in der National Concert Hall in Dublin einen Klavierabend (Eintrittspreis: 13 Pfund 50), der mit der h-Moll-Sonate von Liszt endete. Nach dem Konzert sprach meine Dubliner Freundin folgende Worte, die mir noch heute nachklingen: „I felt that I was in the presence of a genius.“

„Klavier-Festival-Ruhr, Evgeny Kissin
Wuppertal, Historische Stadthalle, 27. Juni 2022“
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Ein martialischer „Parsifal“ aus Palermo

Blu-ray-Rezension:

Richard Wagner
Parsifal

Orchestra del Teatro Massimo
Coro del Teatro Massimo
Omer Meir Welber   Dirigent
Graham Vick   Regie

Unitel c major 759404

von Peter Sommeregger

Das traditionsreiche Teatro Massimo in Palermo wagte 2020 eine neue Parsifal-Produktion, bestens geeignet, um den neuen Musikdirektor des Hauses, den bereits international erfolgreichen israelischen Dirigenten Omer Meir Welber, zu inthronisieren. Als Regisseur gewann man den erfahrenen Briten Graham Vick, der noch nicht wissen konnte, dass dies seine letzte große Regiearbeit werden sollte. Vick verstarb im Juli 2021 an den Folgen von Covid 19.

Seine Version des „Parsifal“ ist eine nüchterne, optisch stark reduzierte, die sich zum größten Teil äußerst martialisch gibt, so viel Uniformen und Maschinengewehre hat man selten auf der Opernbühne gesehen. Dabei bleibt weitgehend offen, welchen Krieg der Regisseur hier eigentlich thematisieren will. Man denkt immer wieder an den Konflikt zwischen Israelis und Arabern, was aber im Kontext dieser Wagner-Oper wenig Sinn macht. Vereinzelt ergeben sich durchaus starke Bilder mit Symbolcharakter, aber über weite Strecken verliert sich Vick in sehr vordergründiger Symbolik. „Blu-ray-Rezension: Richard Wagner, Parsifal, Graham Vick Regie
klassik-begeistert.de“
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Die DIENSTAG-PRESSE – 28. JUNI 2022

Vater Barré greift durch Bildrechte: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper

Für Sie und Euch in den Zeitungen gefunden:
Die DIENSTAG-PRESSE – 28. JUNI 2022

München/ Bayerische Staatsoper
Gruseln für Nostalgiker: „Die Teufel von Loudun“ in München
Eine Horror-Oper mit Retro-Charme: 1969 vertonte Krzysztof Penderecki ein Stück über Hexenwahn und Triebstau, unterlegt mit Klängen, wie sie ausschnittweise dann auch im Film „Der Exorzist“ zu hören waren. Manche Zuschauer „erlagen“ der Folter.
BR-Klassik.de

„Die Teufel von Loudun“: Angst und Manipulation
Vladimir Jurowski über Krzysztof Pendereckis Oper „Die Teufel von Loudun“ im Nationaltheater.
Münchner Abendzeitung

Grange Park Opera, West Horsley Place, Großbritannien,
Die Grange Park Opera wagt sich an Janáčeks „Brouček“ – ein turbulenter Spaß
Die Grange Park Opera – nicht zu verwechseln mit dem Grange Festival (aber wie es zu dieser Beinahe-Namensgleichheit kam, ist eine andere, eher komplizierte Geschichte) wagte sich an Leoš Janáčeks „The Excursions of Mr. Brouček“: Ein turbulenter Spaß – und wie die Direktorin des Opernhauses im Grünen vor dem Vorhang erklärte, eine der wenigen Opern bei denen es keine Toten gibt… Nun, Tote zwar nicht, aber die Musik (zumindest in den ersten beiden Akten) mit ihren Dissonanzen ist ebenso wenig Jedermanns Sache wie die oftmals sehr krude Inszenierung dieser musikalischen Farce:
Von Dr. Charles E. Ritterband
Klassik-begeistert.de

Leipzig
Mehr als 3.500 Gäste besuchen Übertragung von „Der fliegende Holländer“
Opern-Klänge in besonderer Atmosphäre: Im Rahmen des Musikfestivals „Wagner 22“ fand am gestrigen Samstag die erste von zwei Live-Übertragungen aus dem Opernhaus auf den Augustusplatz statt.
newsroomporsche.com

Spektakulärer Theatercoup: 3500 Besucher bei Dijkemas „Der fliegende Holländer“ auf dem Augustusplatz
Leipziger Volkszeitung.de

Berlin/ Waldbühne
Abend mit russischer Musik. Philharmoniker geben umjubeltes Abschlusskonzert in der Waldbühne
Mit Kirill Petrenko am Dirigentenpult und Kirill Gerstein am Klavier verabschiedete sich das Orchester in die Sommerpause. Vieles war diesmal anders.
Tagesspiegel.de

Ein Russischer Abend in der Berliner Waldbühne: Kunst versus Zeitgeist
In den gegenwärtigen Zeiten, in denen der aktuelle Konflikt mit dem Despoten im Kreml wenig russland-freundliche Stimmung aufkommen lässt, setzt dieses erste Waldbühnen-Konzert Kirill Petrenkos ein bewusstes Zeichen. Die Fülle der russischen Kultur, speziell auf dem Gebiet der Musik, hat nichts, aber auch gar nichts mit jenem Mann und seinem Regime zu tun, das die Welt gerade empört.
Von Peter Sommeregger
Klassik-begeistert.de

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Schweitzers Klassikwelt 65: Unsere Begegnungen mit Ochsen auf Lerchenau

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Die erste Begegnung war mittels eines Opernquerschnitts des bewährten Schallplattenlabels Decca. Ludwig Weber war darauf im walzerseligen, nahezu operettenhaften Schluss des zweiten Akts zu hören. Als Komtur mit pechschwarzem, getragenem Bass aus dem Hintergrund hatte ich 1959 noch Gelegenheit ihn an der Wiener Staatsoper live zu hören.

In den Jahren 1959 bis 1965 wechselten sich an meinen „Rosenkavalier“-Abenden Otto Edelmann und Oskar Czerwenka in der Rolle des Baron Ochs auf Lerchenau ab. Edelmann war der Sanguiniker mit sehr drastischer Mimik und eigentlich ein Bassbariton mit nicht sicherem tiefem E bei der „nie zu langen Nacht“. Czerwenka war der echte Bass, in der Darstellung phlegmatischer.

Otto Edelmann Foto Fayer, Wien
Mopsfan Oskar Czerwenka Paul Neff Verlag, Autobiografie in Briefen

Ich musste einen „Rosenkavalier“ in Frankfurt am Main erleben, um zu erfahren, wie sich der Baron von der Feldmarschallin nach dem Lever mit einem auffallend tiefen Ton „tief beschämt“ verabschiedet. Im Klavierauszug nachlesend: es handelt sich um das große C! Der mir bis dahin unbekannte österreichische Sänger hieß Manfred Jungwirth. Als er bald darauf ins Ensemble der Wiener Staatsoper geholt wurde, interessierte mich sein Osmin, den ich im Redoutensaal der Wiener Hofburg erlebte.

Dr. Manfred Jungwirth Foto: Discogs

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Neumeiers Beethoven-Adaptation der 7. Sinfonie ist Tanz pur

Was Alexandr Trusch und Madoka Sugai allerdings im dritten Satz von Beethovens Siebter an fröhlichem Ausdruck und technisch höchster Vollkommenheit ablieferten, ging wieder unter die Haut und riss das Publikum am Ende zu Jubelstürmen hin. Sugais Katapultsprünge zeugten von Mut und Vertrauen in den Partner, dass dieser sie rechtzeitig auch auffängt. Beide leisteten schier Unmögliches.

Madoka Sugai, Jacopo Bellussi, Ida Praetorius, Alexandr Trusch, Kent Nagano (musikalische Leitung des Philharmonischen Staatsorchesters), Anna Laudere (Foto: RW)

John Neumeier: Beethoven-Projekt II

Hamburger Ballett Tage
Hamburg Ballett, 26. Juni 2022

von Dr. Ralf Wegner

Die besseren Zeiten fürs Publikum sind im Ballett vorbei, denn man kann sich die Plätze nicht mehr aussuchen wie aktuell noch in der Oper. Ausverkauft fühlt sich jetzt an wie brechend voll. So war es auch gestern bei Neumeiers choreographischer Auseinandersetzung mit Ludwig van Beethovens Siebter Sinfonie. Es gibt für die Ballett Tage aber auch noch Karten, etwa für das Gastspiel des polnischen Nationalballetts mit Shakespeares Sturm, für Liliom, Ghost Light und Wheeldons Wintermärchen; außerdem noch für Neumeiers Die Unsichtbaren im Ernst Deutsch Theater.

Bei der heutigen Beethoven II-Aufführung hatte Alexandr Trusch zusätzlich den Beethoven-Part von Aleix Martinez übernommen. Martinez oder Trusch? Wer ist der bessere Beethoven? Martinez ist ein expressiv Leidender, Trusch der Optimist, für den das Glas immer halbvoll und niemals halbleer ist. Er verkörpert mehr den Mann, den die Widrigkeiten des Lebens nicht allzusehr aus der Bahn werfen, und das umwerfend schön getanzt. „John Neumeier: Beethoven-Projekt II, Hamburger Ballett Tage, Hamburg Ballett,
26. Juni 2022“
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München feiert die Zukunft des Tanzes

Fotos: © Katja Lotter

Münchner Opernfestspiele, 24. Juni 2022, PREMIERE
Prinzregententheater

Heute ist morgen 2022
Zeitgenössische Choreografien

Choreografie Özkan Ayik, Jonah Cook, Philippe Kratz. Musik The Vernon Spring, Gabriels, u.a.. Neuproduktion.

von Barbara Hauter

Vor den Ballettgenuss hat der Herr das 9-Euro-Ticket gesetzt. Ich entscheide -begeistert von diesem Angebot – die kurze, halbstündige Theaterfahrt vom oberbayerischen Bergidyll in die Metropole München umweltfreundlich zu gestalten und setzte mich in den Regionalzug. 30 Minuten Puffer sollten genügen – so dachte ich. Was für ein Anfängerfehler. Ein halbes Stündchen ist das freie Grundschwingen der Abfahrts- und Ankunftszeiten, die DB-Angabe 18:56 also eher ein Vorschlag. Zehn Minuten vor dem Heben des Vorhangs hechte ich folgerichtig durch den Münchner Ostbahnhof und besteche einen Taxifahrer, mich binnen fünf Minuten zum Prinzregententheater zu beamen. Es gelingt. Die Eintrittskarte sollte an der Kasse hinterlegt auf mich warten, der Computer hatte sie aber storniert. Eine ebenso resolute wie patente Dame bezwingt den Rechner und zaubert in Sekundenschnelle eine neue Pressekarte, spornt mich zu einem letzten Spurt an. Und tatsächlich schlüpfe ich noch exakt durch die sich schließenden Türen zum Zuschauerraum. Die Dunkelheit um mich beruhigt mein hämmerndes Herz. Ich gebe mich in die Hand der Nachwuchs-Choreografen: Heute ist morgen.

Dieses Format ist ein Vermächtnis des ehemaligen Ballettdirektors Igor Zelensky – und ein gutes: einmal im Jahr präsentiert das Bayerische Staatsballett die Arbeiten von jungen Choreografen. Zelensky musste wegen seiner Verbindungen zu Putin gehen. „Heute ist morgen“ ist geblieben. Ich finde: Ein wichtiges Format in einer Stadt, die gerne Althergebrachtes bewahrt und deren Publikum sich für perfekt getanzte Tutu-Ballette begeistert. „Heute ist morgen 2022 – Zeitgenössische Choreografien,
24. Juni 2022, PREMIERE Prinzregententheater“
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Schwerer Humor und Alpenglühen – Schostakowitsch und Strauss begeistern zum Saisonabschluss

Alan Gilbert, Foto: Peter Hundert ©

Großer Saal der Hamburger Elbphilharmonie, 25. Juni 2022

Saisonabschluss-Konzert

Dmitri Schostakowitsch, 3. Streichquartett A-Dur op. 73

Richard Strauss, Eine Alpensymphonie op. 64

NDR Elbphilharmonie Orchester
Alan Gilbert, Dirigent
Noah Quartett

von Dr. Andreas Ströbl

Zum Finale der Saison 2021/22 hatten Alan Gilbert und das NDR Elbphilharmonie Orchester den Pianisten Yefim Bronfman eingeladen; er sollte im ersten Teil Béla Bartóks 2. Konzert für Klavier und Orchester spielen. Leider hatte er sich tags zuvor einen Finger verletzt und so präsentierte Alan Gilbert in seiner charmant-lockeren Art das Ersatzprogramm: Das Noah Quartett, bestehend aus Alexandra Psareva (Violine), Bettina Barbara Bertsch (Violoncello), Michael Stürzinger (Violine) und Erik Wenbo Xu (Viola) gab Schostakowitschs 3. Streichquartett in A-Dur, op. 73. Alle vier sind auch Mitglieder des Elbphilharmonie Orchesters und deren Darbietung war weit mehr als nur ein „Plan B“.

Das fünfsätzige Stück aus dem Jahr 1946 ist zwar stimmungsmäßig von den Kriegsjahren geprägt, aber Schostakowitsch spielt hier mit seinem hintergründigen und schweren Humor, indem er vermeintlich einfache Melodien mit seinen typischen Brüchen und Grotesken kombiniert und spielerische Elemente gleich wieder zur Parodie verzerrt. „Saisonabschluss-Konzert, NDR Elbphilharmonie Orchester, Alan Gilbert, Dirigent, Noah Quartett
Elbphilharmonie, 25. Juni 2022“
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Die Grange Park Opera wagt sich an Janáčeks „Brouček“ – ein turbulenter Spaß

Grange Park Opera, West Horsley Place, Großbritannien, 26. Juni 2022

Die Grange Park Opera – nicht zu verwechseln mit dem Grange Festival (aber wie es zu dieser Beinahe-Namensgleichheit kam, ist eine andere, eher komplizierte Geschichte) wagte sich an Leoš Janáčeks „The Excursions of Mr. Brouček“: Ein turbulenter Spaß – und wie die Direktorin des Opernhauses im Grünen vor dem Vorhang erklärte, eine der wenigen Opern bei denen es keine Toten gibt… Nun, Tote zwar nicht, aber die Musik (zumindest in den ersten beiden Akten) mit ihren Dissonanzen ist ebenso wenig Jedermanns Sache wie die oftmals sehr krude Inszenierung dieser musikalischen Farce: Da sitzt Brouček, der literweise Pilsner Bier in sich hinein gießt mitten auf der Bühne in einem Klo und rechts am Bühnenrand taucht eine riesige Klobürste auf, an der er schnuppert. Besonders geschmackvoll ist das nicht und soll es wohl auch nicht sein. Originell hingegen die historischen Gestalten aus der tschechischen Geschichte, die auf bunten Plastic-Bierflaschengestellen auf die Bühne gefahren werden. Und Václav Havel hinter Gittern – ein Anachronismus, denn der Prager Frühling ereignete sich vier Jahrzehnte nach Janáčeks Tod – war schon sehr beeindruckend.

Leoš Janáček, The Excursions of Mr Brouček (gesungen in englischer Sprache, Übersetzung von David Pountney)

von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)

Herr Brouček ist ein kleiner, dicker Mann mit hochfliegenden Träumen: So möchte er auf den Mond fliegen und die Mondfahrer kommen in dieser Inszenierung gebührend zu Ehren in weiß-silbernen Raumanzügen. Aber Broučeks Träume enden in Bierdunst und Suff; meistens schläft er sich seinen Rausch aus. Eine Art Schwejk, aber ganz ohne Heroismus.

David Pountney ist immer gut für originelle, intelligente Inszenierungen – als Intendant der Bregenzer Festspiele hatte er sich einen exzellenten Namen gemacht und Janáčeks wunderbares „Füchslein“, das ich mit Genuss an der Welsh National Opera sah, war einfach meisterhaft. So auch hier das großartige Bühnenbild, das aus gigantisch vergrößerten Kitsch-Objekten aus Prager Souvenirshops bestand. „Leoš Janáček, The Excursions of Mr Brouček
Grange Park Opera, West Horsley Place, Großbritannien, 26. Juni 2022“
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