Der alternde Amor

Richard Strauss, Der Rosenkavalier

Foto: Marlis Petersen, Feldmarschallin, © W. Hösl

Bayerische Staatsoper, München, um 90 Minuten zeitversetzter Live-Stream, 21. März 2021

von Sandra Grohmann

Der uralte Amor, der hat was. In die Jahre gekommen, der Gute, aber doch noch recht kraft- und wirkungsvoll und bei aller Gebrechlichkeit so verspielt wie eh und je. Konfetti! Im neuen Münchener Rosenkavalier bietet er als im Libretto so nicht vorgesehene Figur doch das stärkste Bild für das Hauptthema des Abends – die Zeit. Die Zeit, das „sonderbar Ding“. Marlis Petersen im Rollendebüt als Marschallin besingt sie zauberhaft mit ihrer klaren, gleichwohl vollen und außerdem makellos geführten Stimme, in der neben der Melancholie ein Augenzwinkern aufblitzt. In jedem Moment lässt sie uns hören, was dieser Fürstin durch Herz und Kopf geht, färbt sie den Ton übermütig, nachdenklich, strahlend. Und ihr Spiel passt dazu: sinnlich, etwas naiv, sehr frisch trotz der ersten Alterszeichen. Nicht zu vergessen ihr unwiderstehliches Lachen – wer schmölze bei diesen so effektvoll eingesetzten Grübchen nicht dahin! „Richard Strauss, Der Rosenkavalier
Bayerische Staatsoper, München, um 90 Minuten zeitversetzter Live-Stream, 21. März 2021“
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Schweitzers Klassikwelt 31: Eine Lanze brechen für Dr. Birgit Meyer, Intendantin der Oper Köln

Dr. med. Birgit Meyer, Foto © Paul Leclaire

Wie ein Lauffeuer geht es durch die Medien, dass wir von der Kölner Intendantin bald Abschied nehmen müssen. Als naive Outsider aus Wien dazu einige Gedanken.

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Prinzipiell stellt sich die Frage, wie lange die Intendanz einer anerkannten Persönlichkeit währen soll. Entgegen der Wiener konservativen Mentalität und dadurch sicher ins Kreuzfeuer der Kritik geratend ist unsre Meinung zwei bis drei ordentliche Vertragsperioden (je vier bis fünf Spielzeiten), auf keinen Fall viel länger als insgesamt fünfzehn Jahre, denn die Theater- und Opernliebhaber sollen im Laufe ihres kulturinteressierten Lebens mehrere „Handschriften“ kennen lernen. Jeder mit Sorgfalt ausgewählte Intendant oder Direktor hat seine besonderen Fähigkeiten und Talente und setzt andere Akzente, mit denen er der hoffentlich immerwährenden, „ewigen“ Institution des jeweiligen Theaters dienen kann. Keine Regel ohne Ausnahme: Uns störte die fünfundzwanzigjährige Intendanz von Helmut Wlasak am Tiroler Landestheater keinesfalls. „Schweitzers Klassikwelt 31: Eine Lanze brechen für Dr. Birgit Meyer, Intendantin der Oper Köln“ weiterlesen

DIE DIENSTAG-PRESSE - 23. MÄRZ 2021

Für Sie und Euch in den Zeitungen gefunden:
DIE DIENSTAG-PRESSE – 23. MÄRZ 2021

© Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper – Nationaltheater

Barrie Kosky dreht an der Uhr
Ein neuer „Rosenkavalier“, inszeniert von Regiestar Barrie Kosky und dirigiert vom künftigen Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski: Das hätte eigentlich der Höhepunkt der Saison an der Bayerischen Staatsoper werden sollen. Doch Corona macht Theater mit Publikum vorerst noch unmöglich. Und so war auch diese Premiere nur mit reduzierter Orchesterbesetzung im Videostream und im Radio zu erleben. Trotz allem: Ein beglückender Abend, der sicher zwischen Ironie und Kitsch, Slapstick und Tiefsinn balanciert. Die Zeit, dieses „sonderbar Ding“, vergeht wie im Flug.
Klassik-begeistert.de

Barrie Koskys neuer Rosenkavalier in München: Würdig!
Die Münchner Rosenkavalier-Inszenierung von Otto Schenk in den wunderbaren Bühnenbildern von Jürgen Rose, die bereits 1972 ihre Premiere hatte, war eine Ikone des Repertoires. Aber nach nahezu 50 Jahren schien eine Neuinszenierung unvermeidlich. Angesichts einer inzwischen völlig veränderten Theaterästhetik befürchteten nicht Wenige, einen wenig ansprechenden Ersatz für die so geschätzte Produktion zu erhalten.
Von Peter Sommeregger
Klassik-begeistert.de

Amor hält die Uhren an: ein neuer «Rosenkavalier» – live an der Bayerischen Staatsoper
Schon vor seinem Antritt als Generalmusikdirektor hat Vladimir Jurowski in München seine erste Strauss-Premiere geleitet. Konnte er die per Live-Stream und im Fernsehen übertragene Feuerprobe bestehen?
Neue Zürcher Zeitung

Der neue „Rosenkavalier“ an der Münchner Staatsoper
Grandios: Barrie Kosky inszeniert die Strauss-Oper an der Bayerischen Staatsoper
https://www.pnp.de/nachrichten/kultur/Der-neue-Rosenkavalier-an-der

„Der Rosenkavalier“ in München: Jedes Ding hat seine Zeit
Frankfurter Rundschau

ORF-Player: „Der Rosenkavalier“
https://oe1.orf.at/player/20210322/631495/1616429883000

Münchens neuer „Rosenkavalier“: Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein
Viel Glück, viel Schwein auf einmal: An der Staatsoper München löst die zauberhafte, saftige Neuinszenierung von Barrie Kosky den schönheitstrunkenen Vorgänger ab.
Augsburger Allgemeine

Eroica mit großem Ernst: Riccardo Muti und sein Luigi Cherubini Orchester spielen ein Gedenkkonzert in Bergamo
Das prächtige Teatro Donizetti allein, das aussieht wie ein kleines Geschwisterchen der nicht weit entfernten Mailänder Scala, wäre schon eine Reise wert. Wenn, ja wenn denn endlich wieder normales kulturelles Leben dort einkehren könnte!
Kirsten Liese berichtet aus Bergamo
Klassik-begeistert.de

12 Monate – und alle schauen weg!
Vor kurzem gab es auf Facebook einen gutgemeinten Post: Die Kultur hätte die Pandemie natürlich überlebt, so wie sie auch viel schlimmere Krisen überstanden hat, und nichts, auch nicht die Politik, würde sie beenden können. Es gab sofort beistimmende Worte der Leserschaft. Das war sehr berührend, aber: Beipflichten können hier nur die Konsumenten, weniger die Ausführenden.
https://opernmagazin.de/12-monate-und-alle-schauen-weg/

Österreich
Öffnungen bei stabiler Lage nach Ostern
Weiter regionale Corona-Maßnahmen
Der mit Spannung erwartete Gipfel von Bund und Ländern zur weiteren Bekämpfung der Corona-Pandemie hat kaum greifbare Ergebnisse gebracht. Weder kommt es vorerst zu Lockerungen noch zu Verschärfungen.
https://www.salzburg24.at/news/oesterreich/lockdown-oeffnungen-bei-stabiler-lage

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Ladas Klassikwelt 69: Die Polonaise soll UNESCO-Weltkulturerbe werden

Polonaise auf dem Maktplatz in Krakau 2017. Foto: © Ilja Van de Pavert

Die Polonaise – der repräsentative polnische Nationaltanz – wird in die UNESCO-Liste des Immateriellen Welt-Kulturerbes eingetragen. Diese Entscheidung wurde bereits auf nationaler Ebene angenommen und muss nun vom internationalen UNESCO-Rat genehmigt werden. Die Mitinitiatorin des Beitrags ist Romana Agnel, Tänzerin, Choreographin, Tanzpädagogin, Kunsthistorikerin, sowie Gründerin und künstlerische Leiterin des professionellen Hofballetts Cracovia Danza.

von Jolanta Łada-Zielke

Eine wichtige Rolle in dieser Aktion spielt Krakau, wo in Polen die nationale Kultur und Tradition am meisten geschätzt werden. Zu diesem Anlass findet in Krakau und in ganz Polen eine Reihe von Veranstaltungen statt, die diesen Tanz fördern und bekannt machen. Cracovia Danza wird die „Nacht des Tanzes“ sowie „die Polonaise-Tage“ organisieren. Im Rahmen dieses Events findet auf dem Krakauer Marktplatz ein Ball statt, an dem Profi-Tänzer, Einheimische und Touristen teilnehmen. Natürlich hängt die Durchführung sämtlicher Tanzveranstaltungen von der Pandemie ab. „Ladas Klassikwelt 69: Die Polonaise soll UNESCO-Weltkulturerbe werden“ weiterlesen

Die Zeit läuft Amok, solang das Schicksal es so will – "Der Rosenkavalier" im Nationaltheater

Bayerische Staatsoper, München, um 90 Minuten zeitversetzter Live-Stream, 21. März 2021

Rezension des Videostreams: Der Rosenkavalier von Richard Strauss

DER ROSENKAVALIER: MARLIS PETERSEN (FELDMARSCHALLIN), Foto: W. Hösl

von Frank Heublein

Der Rosenkavalier ist unterschrieben als Komödie für Musik in drei Aufzügen. Dramatische Handlungswirren werden in guten Komödien unausweichlich mit der Lebensweisheit garniert, dass alles einen Preis hat, auch das Glück. Und das Schicksal, egal wie schlimm es mittendrin zuschlägt, am Ende einer Komödie ist es hell und häufig überglücklich.

Regisseur Barrie Kosky materialisiert das Schicksal in dieser Inszenierung. Es ist stets mittendrin, scheint aber nur zu beobachten. Oh nein! Überall hat es seine Finger im Spiel! Mal mit schwarzen Flügeln, Unheil bringend. Mal mit weißen, Seligkeit ankündigend.

Der Schicksalsengel ist ein wie ich finde schlauer Regieeinfall. Alt, tiefgebeugt, ausgehärmt, mager, halbnackt, schlohweißes Haar, zerfurchtes Gesicht – das Schicksal zeichnet nicht nur, es ist selbst schlimm gezeichnet. Wie es beim Schicksal so ist, der Herr mit stiller, aber tragender und entscheidender Rolle bleibt im Programm namenlos. Gerade so wie auffällig unauffällig sich dieser halbnackte Lumpenmann in die sonst so üppig schönen kostümierten Bühnenpersonen einzupassen vermag, als Diener, als Kutschführer, als Ober oder als Einflüsterer im Souffleurkasten im dritten Akt, da gefällt er mir am allerbesten!

Zur Ouvertüre sehe ich eine übergroße Standuhr auf der Bühne stehen. Die Uhrzeiger fangen sich an zu bewegen. Immer schneller drehen sie sich, einander entgegen gesetzt. Die Zeit läuft Amok. Vladimir Jurowski setzt den Ton differenziert, fein und zugleich opulent.

Während der Ouvertüre entsteigt die Feldmarschallin der Standuhr. Im dünnen Negligé. Ein dritter Arm umschlingt ihren Körper von hinten voller Lust. Kopfkino: eine unersättliche Nacht haben die „drei Arme“ da gehabt. Die Feldmarschallin, gesungen und gespielt von Marlis Petersen und Samantha Hankeys Octavian. Für Octavian soll es gar nicht Morgen werden, so verliebt in und gleichzeitig unersättlich gierig ist er auf die Feldmarschallin. Das spielen die beiden so deutlich wie sie es singen, sich lustvoll in- und aufeinander werfend.

Der erste Akt spielt fast ausschließlich im halbdunklen Blau-Schwarz-Grau-Silber. Die Bäume der Orangerie sind matt silbern, das Sofa grau, das Bühnenbild schwarz-gräulich. Feldmarschallin und Octavian jagen sich neckend durch die Orangerie.

Das Leben ist ein Silbertablett, auf welchem der Schicksalsengel soeben das Frühstück hereinträgt. Ich stutze einen Moment, ist es das Licht? Nein, dieser Engel hat schmutzig grauschwarze Flügel.

Aufregung. Die Feldmarschallin hört es rumoren. Ist es etwa ihr Ehegatte, der da kommt? Schnell muss Octavian verschwinden, aber wohin? Entwarnung, es ist nur Besuch, der Verwandte Baron Ochs auf Lerchenau. Siedend heiß fällt der Feldmarschallin ein, dass er ihr einen Brief übergeben ließ, den sie ignoriert hat, sich ganz der heißen Liaison mit Octavian hingebend.

Octavian hat sich verkleidet als Zofe Mariandel. Feldmarschallin und Octavian-Mariandel können kaum die Finger voneinander lassen, wenn der Baron schwadroniert und unaufmerksam ist. Wenn er das nicht ist, nutzt er jede sich bietende Gelegenheit, sich der Zofe aufzudrängen. Geschmacklose Stielaugen, anzügliche Sprache, ebensolche Nähe. Ekelhaft! Sehr gut singt und spielt den Lerchenau Christof Fischesser. Er spielt ihn im ersten Akt fulminant, kraftvoll dynamisch, als einen überheblich ignorant egozentrischen geilen Sack. Widerlich und also komödiantisch exzellent.

Sowohl Octavian als auch die Feldmarschallin genießen dieses Spiel. Octavian spielt Mariandel flach verführerisch, etwa Po wackelnd aufstehend und extra lasziv den Rock glattstreichend. Doch so platt das Spiel ist, der Baron Ochs auf Lerchenau ist platter. Seine Wahrnehmungsscheuklappen gleichen einer egozentrischen Stichflamme, die außer Geld und Geilheit alles andere in Rauch aufgehen lässt. Exempel ist die Notarszene, in der er Recht – die Morgengabe – beugen will, um an maximal viel Geld des Herrn von Faninal zu gelangen.

In der folgenden Audienzszene ist für mich mit der Arie eine Fantasiesequenz der Feldmarschallin eingebaut. Gestresst und gelangweilt von Menschen, die alle etwas wollen, entflieht sie in ihre Vorstellung. So verstehe die Änderung des Lichtspektrums von Blau-Grau-Schwarz zu Gelb-Orange, wenn der Sänger auftritt. Kurzzeitig durchbricht die Wirklichkeit den Traum, die Feldmarschallin versucht ihn – der Sänger und Heldentenor tritt erneut auf – ein letztes Mal festzuhalten.

Im Nichtgelingen beendet sie die Audienz in Melancholie verfallend. Prägnant formuliert singt Marlis Petersen brillant über „das“ Thema dieser Inszenierung: die Zeit, die Amok läuft.
„Aber wie kann das wirklich sein, dass ich die kleine Resi war und dass ich auch einmal die alte Frau sein werd? Die alte Frau, die alte Marschallin! »Siegst es, da geht die alte Fürstin Resi!« Wie kann denn das geschehn? Wie macht denn das der liebe Gott? Wo ich doch immer die gleiche bin. Und wenn er’s schon so machen muss, warum lasst er mich zuschaun dabei mit gar so klarem Sinn! Warum versteckt er’s nicht vor mir? Das alles ist geheim, so viel geheim. Und man ist dazu da, dass man’s ertragt. Und in dem »Wie« da liegt der ganze Unterschied.“

Sie spielt und singt diesen Schmerz höchst eindringlich. Grandios einfühlsam vom Jurowskis bayerischem Staatsorchester getragen, hier im zarten Piano der Oboe und Flöte.

Die folgende letzte Szene des ersten Aktes zeigt, wie sehr die Feldmarschallin die Zeit als Amokfahrt begreift. Dies arbeitet die Inszenierung deutlich heraus.

Der hereinstürmende Octavian möchte sie trösten. Er glaubt fehl, indem er in seiner egoistischen überzeugten Liebesblindheit glaubt, seine Person an sich könne die Stimmung der Feldmarschallin aufhellen. Ein zweiter Fehlglaube ist, ihre Traurigkeit hänge allein an der Sorge um ihn als Mariandel, die vom Lerchenau kompromittiert wird.

Sie singt „Mir ist zumut, dass ich die Schwäche von allem Zeitlichen recht spüren muss, bis in mein Herz hinein, wie man nichts halten soll, wie man nichts packen kann, wie alles zerläuft zwischen den Fingern, wie alles sich auflöst, wonach wir greifen, alles zergeht wie Dunst und Traum.“

Ergreifende Musik gepaart mit intensiven Spiel von Marlis Petersen und Samantha Hankey. Ich begreife mit jeder Faser meines Körpers in dieser langen Duettszene, das gerade etwas deutlich anders wird zwischen den beiden. Das „Was“ kündigt sich unmittelbar an.

Sie hat vergessen, Octavian die silberne Rose mitzugeben. Der Diener und Bote Mohammed ist eine Figur des Librettos, die heutzutage als politisch nicht korrekt bis inakzeptabel empfunden werden kann. Das wird elegant und klug gelöst, in diesem Fall übernimmt der Schicksalsengel den Job.

Die Feldmarschallin wendet sich zur Standuhr vom Anfang zu. Sie setzt sich aufs Pendel zu den Schlusstakten des Orchesters. Sie reitet auf der Zeit, die Amok läuft, versucht ihr Frau zu werden.

Der Raum des zweiten Akts ist einer mit hunderttausend Augen, die mich und alle Beteiligten anblicken aus den mit Portraitbildern überbordenden Saal. Vielsagende Dekoration, denn dem Herrn von Faninal ist nichts wichtig außer seiner Reputation. Seine Tochter Sophie muss sich unter allen diesen Augen beweisen. Diese Prüfung will sie mutig angehen. Singt sich in einen Rausch mit kurzer Ohnmacht. Eine Stimme erweckt sie, die sie magisch magnetisch anzieht, das sehe ich ihrem Gesicht an.

Dieser zweite Akt mischt die Welten durcheinander. Octavian tritt auf in einer Aschenputtel-Cinderella anmutenden vollständig von Glitzer übersäten mindestens absolutistischen Kutsche auf. Gesteuert, mich wundert es nicht, vom Schicksalsengel.

Die Rosenübergabe gerät zum „Coup de foudre“. Ich spüre im Spiel und im Gesang von Samantha Hankey und Katharina Konradi als Sophie: hier springt die Liebe über. Die beiden sind sich sofort spürbar nah. Unverblümt singt sie, dass er ihr gefalle. Ihr Anbandeln wird rüde unterbrochen.

Baron Ochs auf Lerchenau findet sich ein, um seine Braut zu begutachten wie ein Stück Vieh. Wieder empfinde ich Christof Fischesser als Lerchenau Charakter äußerst glaubhaft. Sophie beschwert sich, doch trifft bei der Jungfer Marianne auf taube Ohren, denn sie bekommt eine gute Partie ab, mit öffentlichem Auge betrachtet. Der Herr von Faninal des Johannes Martin Kränzle spielt und singt blind vor Stolz ob des adeligen Aufstiegs und dem Gewinn an öffentlicher Reputation.

Sophie sträubt sich weiter. Lerchenau bittet Octavian, Sophie weichzukochen für ihn. Und wie er das tut, Sophie und Octavian küssen sich heftig. Das Liebesduett wirkt hier wie zwei ineinander verschlungene Arien.

Valzacchi und Annina in den Diensten von Lerchenau erwischen die beiden. Hinein geht es in die antike mythologische Sagenwelt. Mit ihren Hörnern auf dem Kopf erinnern die Figuren – alle außer Octavian, Sophie und Lerchenau – samt des Lerchenau’schen Gefolges an dionysische Helfer. Diese zusätzliche Parallelwelt kommt plötzlich, funktioniert zwar. Ist für mich jedoch das schwächste Glied in der Inszenierung.

Die Lage eskaliert. Der Vater droht die Tochter zu enterben. Octavian macht ernst und fordert Lerchenau zum Duell. Der pikst sich schnell und leicht, um große Pose aus minimaler Verletzung zu entwickeln. Vater Herr von Faninal ist ebenso wie der Baron Ochs auf Lerchenau mit Wahrnehmungsscheuklappen ausgestattet. In seinem Fall zählt nur sein öffentlicher Ruf. Alles andere, auch das Glück seiner Tochter, ist egal. Das wird, da eben nicht sein eignes Ding, dem Lerchenau zu viel.

Unterdessen bleibt Octavian nicht untätig, besticht Annina. Diese übermittelt dem Lerchenau einen Brief vom Mariandel. Im Weinrausch trinkt sich Lerchenau seinen Kavaliersstatus schön. Christof Fischesser spielt und singt einmal mehr eine sehr gut ausdifferenzierte Figur Lerchenau, der selbstbezogen vom anstehenden Rendezvous träumt und seine Lakaiin Annina ignoriert.

Im dritten Akt wird die Bühne zu einem kleinen Vorstadttheater. Es erinnert mich in der Anlage und Anmutung an den großen Saal der Musikhochschule hier in München. Im Vorspiel ergehen sich die von Octavian eingekauften Valzacchi und Annina als Organisatoren des folgenden Schmierentheaters.

Als „Zuschauer“ ist das Schicksal mittendrin dabei. Der Vorhang vor den Zuschauerreihen schließt sich. Dem Lerchenau wird es als blindes Fenster verkauft. Der nimmt es hin, hat er doch mit Mariandel nur ein Zielobjekt im totalen Fokus. Toll spielen hier Samantha Hankey und Christof Fischesser. Ihr hätte ich die ordinäre Lache nicht zugetraut. Lerchenau macht sich zum liebestollen Deppen, der doch stets glaubt, die Fäden in der Hand zu halten.

Das eingefädelte Panoptikum nimmt seinen Lauf: Frau und Kinder? Woher kommen die? fragt sich der weinbetäubte Lerchenau. Plötzlich sind alle Bediensteten angezogen wie er selbst. Er ist verwirrt. Es ist ihm zu viel. Er ruft die Polizei.

Doch der Kommissar treibt ihn im Verhör weiter in die Enge. Das Orchester schaukelt sich hoch, auch musikalisch fühle ich den Alptraum Lerchenaus. Wir sind im Theater, also gibt es eine Dea ex machina. Vorhang auf, Feldmarschallin da und sie rettet Lerchenau. Witziges Detail: der Schicksalsengel souffliert aus eben diesem Kasten.

Die Feldmarschallin sagt einen Satz, um den Kommissar zu beruhigen: „Das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts“. Eine gefühlt unglaublich lange Generalpause schaue ich ins entsetzte Gesicht der anwesenden Sophie. Dieser Satz trifft sie wie ein Stromschlag, denn ihr wird im Wiederholen des Satzes klar: sie, ihr Leben, ihre Zukunftsperspektive ist nur ein belangloser Spielball eines Intrigenspiels! Das schmerzt und trifft sie tief, ich höre und sehe es ihr an.

Leicht lässt die Feldmarschallin den Lerchenau nicht von der Angel. Sie löst das Eheversprechen. Muss peinlich überdeutlich deutlich werden, wie schlecht seine Sache steht. Als Lerchenau sich verdünnisieren will, geht der Vorhang erneut auf und alle seine von ihm misshandelten Angestellten bewerfen ihn mit allem Möglichen. Zu schwungvollsten Wiener Walzer Klängen. Das Schicksal wird mich Mores lehren, so schadenfroh vergnügt bin ich in dieser Szene.

Es fehlt das Happy End. Die Feldmarschallin lädt Vater von Faninal in ihren Wagen ein. Dieser Reputationsgewinn „rekreiert“ ihn. Kleines Häkchen. Octavian nähert sich Sophie. Sie lässt ihn zappeln. Sie – und auch die Feldmarschallin – zwingen ihn zur klaren Entscheidung für Sophie und gegen die Feldmarschallin. Die folgenden drei ineinander verschlungenen Arien der Feldmarschallin, Octavians und Sophie. Das ist der große Haken am Happy End. Fulminant singt das Trio, große Oper!

So gut verständlich alle drei singen, so schwierig empfinde ich das Verstehen insbesondere bei diesen drei sich überlagernden Arien. Ich meine, im Opernsaal könnte ich die Stimmen besser auseinander dividieren und verstehen können wie aus den Boxen heraus. Da stößt zumindest meine Technik an die Grenzen.

Die Konversation von Faninal „Sind halt aso, die jungen Leut’!“ und der Feldmarschallin Antwort „Ja, ja.“ verdiente einen ausführlichen Vergleich von Inszenierungen, wie unterschiedlich das Wesen der Feldmarschallin durch dieses „Ja, ja.“ ausgestellt werden kann. Hier und heute ist es ein wissendes und zugleich souveränes „auch ich spiele groß auf, nicht nur die jungen Leut’“.

Da es in dieser Inszenierung um die Amok laufende Zeit geht, wird diese Klammer im Schlussduett geschlossen. Die Standuhr erscheint. Obenauf der Schicksalsengel. Was macht er? Er bricht der Uhr den großen Zeiger ab. Mit der Zeiten Amok ist jetzt Schluss. Das Liebespaar Sophie und Octavian fliegt über die Bühnenbreite. Ihre letzten Worte: „für alle Zeit und Ewigkeit!“ Das Schicksal hat entschieden!

Die Besetzung ist in seiner ganzen Tiefe hervorragend. Herauszustellen sind die großartigen Hauptfiguren, die allesamt stimmlich brillieren. Sie überzeugen schauspielerisch. Zugleich werden sie dank der hervorragenden Regie zu sehr pointierten Figuren stilisiert. Wunderbar.

Die Feldmarschallin Marlis Petersen als hellsichtige Frau, die sehr gut weiß, wie schnell junge Lover weiterziehen. Diese Feldmarschallin verharrt jedoch nicht in der Melancholie, ihr Zug sei abgefahren. Bei ihr und ihrem „Ja, ja.“ am Ende des dritten Aktes bin ich sicher, dass schon übermorgen der nächste Verehrer in ihrem Bett ihr an den Lippen klebt und ihr zur Füßen liegt. Beides zugleich ver-suchend. Die Hellsichtigkeit, ihre melancholische Ader und das Bewusstsein ihrer Macht, all das zeigt Marlis Petersen mit absoluter stimmlicher Präsenz und ebenso schauspielerisch. Sie ist eine Wucht.

Der Baron Ochs auf Lerchenau mimt Christof Fischesser als opulent präsentes lust- und geldgieriges hochnäsiges egozentrisches Ekel, das am Ende sein Fett abbekommt. Er hat stets starke Widerparts. Im ersten Akt das verliebte Paar. Im zweiten das sich verliebende Paar. Im dritten den Kommissar und die ihre Macht stimmlich wie spielerisch eindrucksvoll beweisende Feldmarschallin.

Es gibt Aufführungen, da überstrahlt der Ochs die anderen Rollen. Hier ist das nicht so, denn die Rolle ist eingepasst in die Opernhandlung. Am Ast des Warmluft blasenden Hochnäsigen wird schauspielerisch wie sängerisch permanent gesägt. Im ersten Akt der forsche Kavalier, zieht er sich im zweiten in die Rolle des Verletzten zurück, um im dritten vollends die Handlungskontrolle zu verlieren, prägnant dargestellt im Verlust seines Toupets. Diese Aktivitätenverschiebung verspüre ich in Christof Fischessers Rolleninterpretation prägnant. Seine Stimme bringt er gemäß der angelegten Rollenveränderung toll und sehr differenziert ein.

Samantha Hankey als Octavian spielt und materialisiert die Zeit, die im Vorspiel bildlich Amok läuft. Die drei Akte verstehe ich als drei Entwicklungsschritte Octavians. Barrie Koskys Inszenierung macht sie deutlich: im ersten der vor Liebe blinde „Bub“. Er ist ein Liebesspielzeug, ganz in der Hand der Feldmarschallin. Sein mehrfach vorgetragener Besitzanspruch ist männliche Plattitüde, die in keinem Moment der Autorität der Feldmarschallin standhält. Im zweiten emanzipiert er sich. Handelt aktiv. Nach eigenem moralischen und emotionalen Kompass. Intelligent und schlau dazu, schmiert er doch Lerchenaus Vertraute Valzacchi und Annina, um Lerchenau in die Falle eines Rendezvous mit Mariandel zu locken und so die Heirat mit Sophie zu verhindern. Im dritten Akt muss er sich entscheiden zwischen zwei Frauen. Eine Entscheidung hat meist und umfassend mit Verlust zu tun. Sophie bringt das in den drei parallel gesungenen Arien der drei Figuren Feldmarschallin, Octavian und Sophie gegen Ende des dritten Aktes in ihrem Part auf den Punkt:
„Ich möcht’ mich niederknien dort vor der Frau und möcht’ ihr was antun, denn ich spür’, sie gibt mir ihn und nimmt mir was von ihm zugleich. Weiss gar nicht, wie mir ist! Möcht’ alles verstehen und möcht’ auch nichts verstehen. Möcht’ fragen und nicht fragen, wird mir heiss und kalt. Und spür’ nur dich und weiss nur eins: dich hab’ ich lieb.“

So fies ist das Schicksal, auch mit den weißen Flügeln. Aber nur kurz, denn es ist eine Komödie, die gut ausgeht: „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir zwei beieinander sein, beieinand’ für alle Zeit und Ewigkeit!“

Samantha Hankey überzeugt mich stimmlich in jedem Ton. Besonders gut gefällt sie mir im zweiten Akt, wenn sie der Liebe anheimfallend zu Sophie singt.

Die Sophie Katharina Konradis ist nicht grün hinter den Ohren, vielmehr wach, alert, intelligent, empathisch und realistisch. Diese alerte Wachheit zeigt sie in Spiel und Stimme. Sie weiß, nur durch einen Mann wird sie „etwas“. Ein Mann dagegen ist allein schon was. Doch gegen die Unsäglichkeit der Partie Lerchenau stemmt sie sich entgegen mit allem was sie hat. Sie findet in Octavian nicht nur den Geliebten, sondern auch einen streitbaren Retter, dessen Herz sie im Sturm erobert. Mein ganzes Herz und Ohr erzwingt sie sich stimmlich im Liebesduett mit Octavian im zweiten Akt.

Vladimir Jurowski leitet souverän das Bayerische Staatsorchester. Er präsentiert die Singstimmen wunderbar, die Musik trägt die Stimmen zu mir. Sein Dirigat empfinde ich als differenziert und feinfühlig. Wegen Corona wird die Fassung für kleineres Orchester von Eberhard Kloke genutzt. Gern möchte ich diese Fassung vor Ort im Nationaltheater hören! Und wäre ganz gespannt und erpicht auf die Gegenprobe, wie der zukünftige musikalische Opernhauschef mit großem Orchester agiert. Ich hoffe, es wird bald so weit sein.

Diese Inszenierung ist eine sehr gute Komödie. Sie vergnügt und unterhält mich. An manchen Stellen und gerade am Ende lässt sie mich die Abgründe spüren, die nur einen Handbreit weit neben Heiterkeit und Glück stehen. Gerade so wenig weit weg, dass ich die gewonnene Glückseligkeit dieser Aufführung im Augenblick hoch schätze. Eine Aufführung, die mich in allem, den Sängern und Sängerinnen, dem Chor, dem Orchester und seines Dirigenten und der Inszenierung und Regie überzeugt.

Der erste Akt ist für mich überwältigend. Die Pause kommt für mich zur Unzeit. Denn ich wickele mich selbst in Euphorie. Die ich verwandele in unverschämte Erwartung an die kommenden Akte. Sie werden erfüllt! Mein emotionales Problem dabei: sie werden nur erfüllt, nicht übertroffen. Rational ist mir klar: wie denn auch? Doch diesen Wunsch eines alles erfüllenden Strauss’schen Opernhimmels kann ich nicht zähmen in mir.

Eine spannende für mich nachvollziehbare Überlegung bringt ein Freund von mir ins Spiel: diese Inszenierung offenbart, dass diese Oper selbst aus der Zeit gefallen ist. Musikalisch wird Strauss wieder tonaler, zuckt zurück vor der in seinem musikalischem Schaffen Raum greifenden Atonalität. Die Handlung ist widersprüchliche Reminiszenz zwischen burleskem Wiener Walzer, absolutistischer Cinderella-Glitzerkutschen-Märchenwelt, antiker mythologischer Sagenwelt und psychologisierender Feldmarschallin.

Lieber Herr Schicksalsengel, gib mir heute Nacht einen Traum: wie ich diese Inszenierung im dunklen Zuschauerhalbrund mit 1999 Mitzuschauern und Mitzuschauerinnen im Nationaltheater in München intensiv erlebe und genieße. Bravi tutti.

Frank Heublein, 22. März 2021, für
klassik-begeistert.de oder klassik-begeistert.at

Programm

Richard Strauss, Der Rosenkavalier

 

Besetzung

 

Die Feldmarschallin Marlis Petersen

Der Baron Ochs auf Lerchenau Christof Fischesser

Octavian Samantha Hankey

Herr von Faninal Johannes Martin Kränzle

Sophie Katharina Konradi

Jungfer Marianne Leitmetzerin Daniela Köhler

Valzacchi Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Annina Ursula Hesse von den Steinen

Ein Polizeikommissar Martin Snell

Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin Manuel Günther

Der Haushofmeister bei Faninal Caspar Singh

Ein Notar Christian Rieger

Ein Wirt Manuel Günther

Ein Sänger Galeano Salas

Adelige Waise Juliana Zara

Adelige Waise Sarah Gilford

Adelige Waise Daria Proszek

Eine Modistin Eliza Boom

Ein Tierhändler George Vîrban

Kinder Eliza Boom, Sarah Gilford, Daria Proszek, Juliana Zara, George Vîrban

Bayerisches Staatsorchester

Chor der Bayerischen Staatsoper

Barrie Koskys „Rosenkavalier“ in München: Würdig!

Nationaltheater München, Bayerische Staatsoper, Livestream vom 21. März 2021
Richard Strauss, Der Rosenkavalier

Marlis Petersen (Feldmarschallin), Foto: W. Hösl (c)

von Peter Sommeregger

Die Münchner Rosenkavalier-Inszenierung von Otto Schenk in den wunderbaren Bühnenbildern von Jürgen Rose, die bereits 1972 ihre Premiere hatte, war eine Ikone des Repertoires. Aber nach nahezu 50 Jahren schien eine Neuinszenierung unvermeidlich. Angesichts einer inzwischen völlig veränderten Theaterästhetik befürchteten nicht Wenige, einen wenig ansprechenden Ersatz für die so geschätzte Produktion zu erhalten.

Nach dieser bemerkenswerten, im Livestream gezeigten Premiere kann man Entwarnung auf der ganzen Linie geben. Der Regisseur Barrie Kosky ist viel zu klug um zu meinen, man könne diese Oper ganz ohne Anklänge an die Barockzeit auf die Bühne bringen. Er stellt eine kluge Synthese aus optischen Zitaten des Barock und zeitlos moderner Bildersprache her. Im ersten Akt ist das Schlafzimmer der Marschallin nur angedeutet, wir erleben einen nicht wirklich definierten Raum, in dem immer wieder ein geflügelter Greis, Chronos, auftaucht, der als Symbol der Zeit in allen drei Akten auftaucht.

Der gesamte erste Akt schimmert silbern, nur beim Auftritt des Sängers mit seiner barocken Prunkarie wird für einen Augenblick strahlendes Gold des Hochbarock eingesetzt. Die Arie wird so geschickt als anachronistischer Einschub gekennzeichnet.

Besonders tapfer mussten die Münchner beim Bühnenbild des 2. Aktes sein. Jürgen Roses perfekter Nachbau der Amalienburg ist nun ein Raum mit unzähligen Gemälden in „Petersburger Hängung“. Das ist zwar ein wenig nüchtern, gibt aber der Personenregie mehr Raum. Hier wird das barocke Element durch die  Kutsche eingeführt, in der Octavian seinen Auftritt hat.

Das Extrazimmer des Wiener Beisels im dritten Akt ist betont nüchtern gehalten, der Zuschauer sieht zu Beginn, dass der scheinbar abgeschlossene Raum nur durch einen Vorhang von einem Zuschauerraum getrennt ist. Ohne es zu wissen, agiert Ochs auf einer Bühne, was erst gegen Ende offenbar wird.

Kosky versteht es, aus den handelnden Figuren komplexe, glaubwürdige Charaktere zu formen, die aus Fleisch und Blut sind. Allen voran die Marschallin Marlis Petersens, die bereits bei ihrem Rollendebüt eine souveräne reife Frau verkörpert, die nicht sentimental, sondern nur nachdenklich ist. Stimmlich bleibt bei ihr kein Wunsch offen. Ob im Parlando oder den großen Bögen ist die Stimme in allen Registern sicher und Petersen kann ihr schönes, lyrisches Timbre entfalten. Dazu kommt eine Textverständlichkeit, wie man sie selten erlebt.

Gespannt war man auf die Newcomerin Samantha Hankey, auch sie eine Rollendebütantin. Sie bringt genau jenes androgyne Flair für diese Rolle mit, außerdem einen warmen, leicht anspringenden Mezzosopran, der sauber intoniert und sich mit den Stimmen der Partnerinnen perfekt mischt. Auch Katharina Konradi, ein neuer Stern am Opernhimmel, überzeugt auf der ganzen Linie. Die extrem hohe Lage der Partie der Sophie bereitet ihr keinerlei Schwierigkeiten. Auch ihre Mittellage ist kräftig und sicher, ihr Timbre ansprechend und gut kompatibel mit dem des Octavian.

Christof Fischesser legt seinen Ochs erfreulicherweise nicht als Lustgreis oder Proleten an, sondern lässt immer noch Rudimente seiner adeligen Herkunft erkennen. Stimmlich wirkt er souverän, die endlich einmal nicht gestrichene Erzählung von seinen erotischen Eroberungen wird zu einem Höhepunkt des ersten Aktes. Seine große Szene im Finale des zweiten Aktes singt er mit weichem, sonoren Bass von großer Flexibilität.

Eine glänzende Charakterstudie stellt Johannes Martin Kränzle mit seinem Neureichen Faninal auf die Bühne. Der Sänger von Galeano Salas muss sich rollenbedingt auf reinen Gesang reduzieren, das allerdings mit ausgesprochen schönem, höhensicherem Tenor. Ursula Hesse von den Steinen und Wolfgang Ablinger Sperrhacke als Intrigantenpaar können sich in ihren Rollen durchaus profilieren.

Gespielt wurde die Oper in einer Fassung für kleineres Orchester von Eberhard Kloke. Erstaunlich, wie viele reizvolle Details der Partitur in dieser reduzierten Version auf einmal hörbar werden. Die vorbildliche Treansparenz des Klanges war aber mit Sicherheit das Verdienst Vladimir Jurowskis, der sich mit dieser Premiere an seinem zukünftigen Haus als Strauss-Dirigent bestens empfahl.

Barrie Kosky ist mit diesem Rosenkavalier beinahe so etwas wie die Quadratur des Kreises gelungen: die barocke Verortung des Stücks wird nicht geleugnet, die Charaktere aber doch eher als Menschen des Hier und Heute gezeichnet. Otto Schenks Rosenkavalier hat einen würdigen Nachfolger gefunden!

Peter Sommeregger, 21. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung

Vladimir Jurowski

Inszenierung

Barrie Kosky

Bühne

Rufus Didwiszus

Kostüme

Victoria Behr

Die Feldmarschallin

Marlis Petersen

Der Baron Ochs auf Lerchenau

Christof Fischesser

Octavian

Samantha Hankey

Herr von Faninal

Johannes Martin Kränzle

Sophie

Katharina Konradi

Jungfer Marianne Leitmetzerin

Daniela Köhler

Valzacchi

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Annina

Ursula Hesse von den Steinen

 

 

DIE MONTAG-PRESSE - 22. MÄRZ 2021

Für Sie und Euch in den Zeitungen gefunden:
DIE MONTAG-PRESSE – 22. MÄRZ 2021

Foto: Philharmonie Berlin, © Schirmer

Berlin
Das Glück sitzt im Auditorium
Berlin geht voran. Nach einem Jahr in der Zwangspause traten die Philharmoniker vor 1000 Zuhörern auf. Kirill Petrenko gab als Dirigent den größten der Aufpeitscher.
Sueddeutsche Zeitung

München
„Der Rosenkavalier“ (Regie: Barrie Kosky)
TV-Kritik – Vladimir Jurowski ließ die reduzierte Orchesterfassung von Eberhard Kloke an der Bayerischen Staatsoper musizieren
https://www.freitag.de/autoren/andre-sokolowski/der-rosenkavalier-regie-barrie-kosky

Erste Eindrücke vom Rosenkavalier-Stream
von TTT
https://onlinemerker.com/muenchen-bayerische-staatsoper-premiere-der-rosenkavalier-erste-eindruecke-vomstreaming-vom-21-3-2021/

Paris
Französische Kulturministerin Bachelot: Corona nach Opernbesuch
Heftige Debatte über das Infektions-Risiko in Theatern: Ministerin Roselyne Bachelot gab am späten Samstagabend bekannt, unter Atemproblemen zu leiden und positiv auf Covid-19 getestet worden zu sein. Tags zuvor war sie noch in der Oper gewesen.
BR-Klassik.de

Bogdan Roščić: „Das Wiener Publikum lässt sich nichts vormachen“
Bezahlartikel
Das erste Jahr des Wiener Staatsoperndirektors Bogdan Roščić ist von einem geschlossenen Haus geprägt. Ein Interview über den Wert von Theater, über Corona und über praktische Inszenierungen.
Kleine Zeitung

Wien
Opern-Bass Jewgenij Nesterenko starb in Wien an Corona
Der Sänger erlag im 84. Lebensjahr dem Virus, berichtet die „Presse“
https://kurier.at/kultur/opern-bass-jewgenij-nesterenko-starb-in-wien-an-corona/401272701

Niederösterreich
Stadttheater Wiener Neustadt soll modernisiert werden
Das Stadttheater Wiener Neustadt wird in den kommenden Jahren baulich modernisiert und organisatorisch neu aufgestellt. Die Wiedereröffnung ist zum 230-Jahre-Jubiläum im Herbst 2024 angepeilt. Das Haus soll zu einem „weiteren Hotspot der Landeskultur“ werden, sagte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) bei der Präsentation der Pläne gemeinsam mit Bürgermeister Klaus Schneeberger (ÖVP) und Marie Rötzer, der künstlerischen Leiterin des Landestheaters Niederösterreich.
Salzburger Nachrichten

„Wir befinden uns in einer Zeit großer Veränderungen“
William Garfield Walker gewann seine ersten beruflichen Engagements im Alter von 16 Jahren mit dem Mississippi Symphony Orchestra. Er studierte Cello bei Richard Hirschl vom Chicago Symphony Orchestra, bevor er sein Studium am Royal College of Music in London und an der Musik- und Kunstuniversität der Stadt Wien (MUK) abschloss, wo er von Vladimir Fedoseyev auf sein Diplomkonzert vorbereitet wurde. Zuvor war er der Dirigent beim Aspe Music Festival, sowie der Chefdirigent des Moonlight Symphony Orchestra, der Royal College of Music Oratorio Society. Im Alter von 20 Jahren gründete er die Virtuoso Philharmonic of Chicago. Er arbeitete mit Ensembles zusammen wie Berliner Sinfonietta, Bratislava Symphony Orchestra, Cabrillo Festival Orchestra, Janáček Philharmonic Ostrava, klassischen Solisten von London, das Mississippi Symphony Orchestra, das Orquesta Reino de Aragón, das Bacau Philharmonic Orchestra, die Astrakhan State Opera und das Ballet Theatre Orchester und die Taurida-Staatssinfonie des Leningrader Gebiets. Im März 2020 verabschiedeten das Repräsentantenhaus und der Senat von Mississippi einstimmig eine Resolution „Lob des musikalischen Genies von William Garfield Walker“.
Jolanta Łada-Zielke im Gespräch mit dem Dirigenten William Garfield Walker
https://klassik-begeistert..de/interview-mit-william-garfield-walker/ „DIE MONTAG-PRESSE – 22. MÄRZ 2021“ weiterlesen

Eine aufregende Vielfalt hörenden Empfindens

Fotos im Beitrag: © Astrid Ackermann | musica viva, BR

Gasteig und Herkulessaal München,
Livestream am 6. März 2021

Sir Simon Rattle, Dirigent
Magdalena Kožená, Mezzosopran
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

von Frank Heublein

In der zeitgenössischen Musikreihe des Bayerischen Rundfunks werden häufiger Stücke beauftragt. So ist auch dieses erste Stück des Abends ein Auftragswerk und wird an diesem Abend uraufgeführt. Inhaltlich werden Texte verwendet, die um die Suche nach dem Göttlichen kreisen. In sechs unterschiedlichen Sprachen und natürlichen Stimmlauten. Das Werk besteht aus elf Abschnitten.

Adámeks „Where are You?“ beginnt mit mir aus dem Jazz bekannten Scattern, offensichtlich hier nach Partitur. Vibrierend flirrende Klänge. Bedrohlich wie ein Gewitter, das man vor sich sieht. Der Moment bevor es richtig losstürmt. Das Stürmen folgt drängend und unruhig. „Rezension des Videostreams: Musica Viva Doppelkonzert,
Gasteig und Herkulessaal München, 6. März 2021“
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Eroica mit großem Ernst: Riccardo Muti und sein Luigi Cherubini Orchester spielen ein Gedenkkonzert in Bergamo

Foto: Riccardo Muti. © Silvia Lelli

Teatro Donizetti Bergamo, 21. März 2021 (Livestream)

Gaetano Donizetti
Sinfonia zu der Oper Don Pasquale

Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr.3 Eroica

Orchestra Giovanile Luigi Cherubini
Leitung: Riccardo Muti

von Kirsten Liese

Das prächtige Teatro Donizetti allein, das aussieht wie ein kleines Geschwisterchen der nicht weit entfernten Mailänder Scala, wäre schon eine Reise wert. Wenn, ja wenn denn endlich wieder normales kulturelles Leben dort einkehren könnte!

Dass die herrlichen Opernhäuser, über die Italien so zahlreich verfügt, für Publikum wieder öffnen dürfen, konnte Riccardo Muti trotz unzähliger Bemühungen leider noch nicht bewirken. Aber in diesen Zeiten, in denen noch nicht einmal in Deutschland die Sächsische Staatskapelle Dresden mit ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann in einer leeren Semperoper ohne Publikum proben und für einen Stream Strauss’ Heldenleben spielen darf, ist man schon dankbar, dass Muti und sein Luigi Cherubini Jugendorchester zumindest einen so prächtigen, herrlichen Raum wie eben das Teatro Donizetti in Bergamo bespielen dürfen. Man wird ja bescheiden. „Riccardo Muti, Luigi Cherubini Orchester, Beethoven, Eroica,
Teatro Donizetti Bergamo, 21. März 2021“
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"Wir befinden uns in einer Zeit großer Veränderungen"

Foto: © Andrej Grilc

Offen, energetisch und erfolgreich – Jolanta Łada-Zielke spricht mit dem Dirigenten William Garfield Walker

Er dirigiert sehr energetisch und kann diese Energie seinen Musikern vermitteln. Dies sieht man insbesondere in den Aufnahmen von Konzertmitschnitten mit dem von ihm gegründeten Nova Orchester Wien – NOW! William Garfield Walker leitet Piotr Tschaikowskys Werke reibungslos und mit Elan, als verstehe er die slawische Seele des Komponisten. Mahler klingt in seiner Interpretation würdevoll, Bernstein sehr dynamisch. Das Stück „Phantom Chapel“ von William Grant Still führt Walker mit sanften, kreisenden Bewegungen, manchmal mit geschlossenen Augen auf, verliert aber nie die Kontrolle über das Ensemble. Die „Adoration“ der afroamerikanischen Komponistin Florence B. Price, zu der William eine besondere Beziehung hat, klingt wie eine wundervolle Filmmusik. Und es ist schade, dass wir diesen jungen, leidenschaftlichen Dirigenten in der Zeit der Pandemie nur auf Aufnahmen miterleben können. Man bekommt eine große Lust, bei einem seiner Konzerte dabei zu sein und etwas von seiner Energie zu schöpfen…

William Garfield Walker gewann seine ersten beruflichen Engagements im Alter von 16 Jahren mit dem Mississippi Symphony Orchestra. Er studierte Cello bei Richard Hirschl vom Chicago Symphony Orchestra, bevor er sein Studium am Royal College of Music in London und an der Musik- und Kunstuniversität der Stadt Wien (MUK) abschloss, wo er von Vladimir Fedoseyev auf sein Diplomkonzert vorbereitet wurde. Zuvor war er der Dirigent beim Aspen Music Festival, sowie der Chefdirigent des Moonlight Symphony Orchestra, der Royal College of Music Oratorio Society. Im Alter von 20 Jahren gründete er die Virtuoso Philharmonic of Chicago. Er arbeitete mit Ensembles zusammen wie Berliner Sinfonietta, Bratislava Symphony Orchestra, Cabrillo Festival Orchestra, Janáček Philharmonic Ostrava, klassischen Solisten von London, das Mississippi Symphony Orchestra, das Orquesta Reino de Aragón, das Bacau Philharmonic Orchestra, die Astrakhan State Opera und das Ballet Theatre Orchester und die Taurida-Staatssinfonie des Leningrader Gebiets. Im März 2020 verabschiedeten das Repräsentantenhaus und der Senat von Mississippi einstimmig eine Resolution „Lob des musikalischen Genies von William Garfield Walker“.

Interview: Jolanta Łada-Zielke

Wie hilft Dir die Erfahrung als Cellist bei Deiner Arbeit als Dirigent?

Das hat mir die Möglichkeit gegeben, aus eigener Erfahrung zu lernen, wie es ist, als Musiker in einem Orchester zu spielen. Während dieser Zeit hatte ich auch die Gelegenheit, verschiedene Dirigenten (einige von ihnen bekannt und angesehen) aus der Sicht der Musiker zu beobachten und zu sehen, wie meine Kollegen im Orchester darauf reagierten, was der Dirigent tat, was davon gut funktionierte und was nicht. „Interview mit William Garfield Walker“ weiterlesen