War das jetzt E-Musik?, fragt man sich am Ende des über zweistündigen Programms, das so großen Jubel beim Publikum hervorruft, dass Hände zum Applaudieren nicht mehr ausreichen. Daniel Hope und seine Musiker danken es mit zwei Zugaben – dem ersten Satz aus Edvard Griegs Holberg-Suite und Reynaldo Hahns Lied „À Chloris“ – bevor dieser schöne Abend endet.
Edward Elgar · „Chanson du matin“ op. 15
Christian Sinding · Adagio aus Suite a-Moll op. 10 „Im alten Stil“
Jules Massenet · „Méditation“ aus „Thaïs“
Arnold Schönberg · Notturno für Streicher und Harfe (Fassung für Violine, Streicher und Harfe)
Richard Strauss · „Morgen“ aus Lieder op. 27 (Fassung für Violine und Streicher)
Edward Elgar · Introduktion und Allegro für Streicher op. 47
Ernest Chausson · Konzert für Violine, Klavier und Streichquartett D-Dur op. 21 (Fassung für Orchester)
von Stefanie Schlatt
Sinnlichkeit, Dekadenz, Weltschmerz, Zukunftsangst, Tatendrang – all diese Stimmungen bildeten die Essenz der Belle Époque, jener Ära um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in der die besseren Gesellschaftsschichten in den Salons und Vergnügungslokalen der europäischen Metropolen einer besonderen Kunst und Unterhaltungskultur frönten, die sich aus diesem Lebensgefühl speiste.
Verspielte Elemente, Prunk und an Verschwendungssucht grenzende Opulenz prägten zunehmend die Malerei, die Mode und auch die Musik. Zu Beginn dieser Ära, der von Historikern auf die mittleren 1880er-Jahre datiert wird, herrschte gerade eine selige Friedenszeit, in der sich die Menschen auf ihr wirtschaftliches Fortkommen konzentrieren und mit dem verdienten Geld schöne Dinge leisten konnten.
Mit der nahenden Jahrhundertwende schlich sich jedoch allmählich eine vage Endzeitstimmung ein, die für einschneidende kalendarische Ereignisse typisch ist. Die Kunstwelt jedoch trotzte der bedrückenden Stimmung und verkehrte sie ins Gegenteil, bis 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und die zelebrierte Realitätsflucht ein jähes Ende fand.
In der europäischen Musik vollzog sich in jenen Jahrzehnten der Übergang von der nostalgisch- schwärmerischen Spätromantik über den Impressionismus hin zur atonalen Musik. Eine vom industriellen Fortschritt geprägte gesellschaftliche Aufbruchstimmung veranlasste die Komponisten der Jahrhundertwende, musikalische Konventionen zu hinterfragen. Ihr Werk wurde zum Vehikel widerstreitender Gefühle, die sich erst in Rückgriffen auf prunkvolle Elemente alter Stile, dann vermehrt in evokativen Klängen und später in trotzigem Avantgardismus äußerten.
In seinem aktuellen Tourprogramm „Belle Époque“ hat der populäre Solo-Violinist und Leiter des Zürcher Kammerorchesters Daniel Hope musikalische Werke von Landsmännern der europäischen Großmächte zusammengestellt, in denen der einmalige Zeitgeist dieser aufregenden und wechselhaften Epoche zum Ausdruck kommt – ein Zeitgeist, von dem Hope selbst schon immer fasziniert war, wie er dem Publikum zu Beginn des Konzerts erläutert; nicht zuletzt wegen der hochbrisanten Parallelen zur jüngsten Zeit, in der die Corona-Pandemie „und andere Krankheiten wie der Brexit“ der Menschheit den Garaus zu machen drohen.
Die Stücke des Programms, die alle noch vor der Jahrhundertwende entstanden, vermitteln jedoch vielmehr die zuversichtliche Stimmung eines neuen Tagesanbruchs, die Hope zusammen mit den Musikern des Zürcher Kammerorchesters mit mitreißendem Verve und leichtfüßigem Charme zur Geltung bringt.
Passend leitet Edward Elgars „Introduktion und Allegro“, op. 47 für Streichorchester und Streichquartett von 1905 das Programm ein. Hier zeigt sich der britische Nationalkomponist (noch) von seiner verspielten und humorvollen Seite, die unter anderem in den Tricks und Kniffen der eingearbeiteten „Teufelsfuge“, dem ausgiebigen Pizzicatospiel, turbulenten Dynamikwechseln und unerwarteten Themen (etwa einer walisischen Melodie) zum Ausdruck kommt.
Mit dem kleinen Stück „Chanson de matin“, op. 15 (das hier ohne sein Partnerstück „Chanson de nuit“ erklingt), präsentiert Hope ein weiteres Werk Elgars im unterhaltsamen Salonstil, das sich von dessen späteren hymnenhaften und elegischen Kompositionen abhebt.
Hier konnte ich natürlich nur einige kurze Auszüge aus den 68 Seiten der„Bayreuther Fanfaren“ bringen. Alles in allem ist die Lektüre des Büchleins sehr amüsant, und es ist interessant zu erfahren, wie einer der berühmtesten Musikkritiker seiner Zeit von den Bayreuther Festspielen des Jahres 1891 berichtet hat.
von Jolanta Lada-Zielke
1891 zählte Bayreuth, schon damals als „Mekka der Wagnerianer“ bezeichnet, 23.000 Einwohner. Der Musikkritiker, –schriftsteller und Komponist Ferdinand Pfohl (1862-1949) schreibt in seinem Büchlein „Bayreuther Fanfaren“, es seien „prächtige Leute, die wissen den Fremden (…) mit mehr oder weniger Geist das Leben und den Geldbeutel leicht zu machen“. Humorvoll äußert er sich auch über die Bayreuther Wirtinnen, bei denen die Festspielgäste private Unterkunft erhielten: sie sollten „Parsifal“ sehr dankbar sein, denn „seinetwegen“ könnten sie nach der Festspielzeit „ein neues Kleid in ihren Schrank hängen“. „Ladas Klassikwelt 21 klassik-begeistert.de“ weiterlesen
Für Sie in den Zeitungen gefunden:
Die SONNTAG-PRESSE – 1. MÄRZ 2020
Bayreuther Festspielhaus, Foto: Andreas Schmidt (c)
Dresden/ Bayreuth Valentin Schwarz in Dresden: Wollt ihr die totale Operette?
Spätestens seit Freitag steht fest: Das Bayreuther Publikum muss sich heuer im Sommer beim „Ring“ warm anziehen. Der junge österreichische Regisseur Valentin Schwarz, Sensationswahl von Hügel-Chefin Katharina Wagner, legte mit Offenbachs „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden seine letzte Inszenierung vor Bayreuth vor – und brachte mit einer Dekonstruktion die Zuschauer gegen sich auf. Salzburger Nachrichten Auf Krawall gebürstet: Offenbachs „Banditen“ in Dresden
Valentin Schwarz, der künftige „Ring“-Regisseur in Bayreuth, hatte sich für die Staatsoperette in Dresden einen provokanten „Schlag ins Gesicht der Erwartungshaltung“ vorgenommen. Das irritierte Publikum reagierte mit Protesten und Desinteresse. BR.de
Salzburger Festspiele: „Es gibt starke Anzeichen, dass Putin kommt“
Helga Rabl-Stadler, seit 1995 Präsidentin der Salzburger Festspiele, im Gepräch über Plácido Domingo, über die von Gazprom unterstützte Aufführung von „Boris Godunow“ und Vergangenheit und Zukunft der Festspiele. Die Presse
Nicht nur beim Corona-Virus sieht man, wie sehr die mediale Manipulationsmaschinerie funktioniert – man merkt auch deutlich bei Maestro Currentzis, wie man mittels geschicktem Umgang mit den Medien und dem Publikum sich zum absoluten Charismatiker hochstilisiert.
Offenbar ist man schon zu abgebrüht, wenn man beim Auftritt des hochgewachsenen schlanken Mannes eben nur einen hochgewachsenen schlanken Mann sieht und keine „Lichtgestalt“, keinen „Messias“ oder sonst etwas. Deswegen betrachtet man als „abgebrühter“ Zuhörer so einen Auftritt mit weit mehr Skepsis als vielleicht angebracht.
Was für eine Tragödie: Am 15. September 1945 wurde der 1883 geborene Komponist Anton Webern, ein Mitglied der Wiener Schule, von einem Soldaten der US-Army versehentlich im österreichischen Mittersill (Bundesland Salzburg) erschossen. Seine Frühwerke „Im Sommerwind“ und „Idylle für Orchester“, beide entstanden im Jahre 1904, bildeten den sphärischen Einstand dieses großartigen Konzertabends. Hier hört man den Rhein, da das Waldweben, beides fernab jeglicher Zwölftonkomposition. Der Komponist hat diese Brücken zu den Werken der alten Romantiker übrigens nie verschwiegen. „Alan Gilbert, NDR Elbphilharmonie Orchester, Frank Peter Zimmermann, Elbphilharmonie, 27. Februar 2020“ weiterlesen
Für Sie und Euch in den Zeitungen gefunden:
Die SAMSTAG-PRESSE – 29. FEBRUAR 2020
Foto: https://benjaminbernheim.com (c)
Experte fürs Französische Benjamin Bernheim wird als neuer Traumtenor gefeiert. Der gebürtige Pariser singt auf den großen Bühnen der Welt. Überragend ist er vor allem in einem Repertoire, das in Deutschland kaum einer kennt. Die Welt.de
Wien/ Staatsoper Turandot“ an der Staatsoper: Weiß wie Jade
Das Fernost-Drama ist ins Repertoire zurückgekehrt. Wiener Zeitung Turandot an der Staatsoper: Stimmen gegen Orchesterwogen
Ramón Tebar wird der Wiener Staatsopernorden für Ausgewogenheit kaum zu verleihen sein Der Standard
Genf Packend – Giacomo Meyerbeers „Les Huguenots“ am Grand Théâtre de Genève Neue Musikzeitung/nmz.de
Brüssel Ödipus der männlichen Dominanz
In Brüssel endet mit „Don Giovanni“ die Trilogie der Mozart-Opern nach den Libretti Lorenzo da Pontes. Sueddeutsche Zeitung
Lieses Klassikwelt 23: Rosenkavalier
Tatsächlich werde ich auch heute noch dann und wann bei einer Rosenkavalier-Aufführung wehmütig, allerdings weniger, weil mich die Sängerinnen so stark anrühren, sondern weil ich den goldenen Jahren nachtrauere, in denen Aufführungen dieses Stückes Dimensionen erreichten, von denen man sich wohl auf absehbare Zeit verabschieden muss.
Der Rosenkavalier ist eines meiner Lieblingswerke. Eine Strichliste habe ich zwar nicht geführt, ihn aber so oft gesehen wie keine andere Oper.
Kirsten Liese berichtet jeden zweiten Freitag aus ihrer Klassikwelt. Klassik-begeistert
Dessau Offenbachs Genie leuchtet mit „Hoffmanns Erzählungen“ in Dessau
Am Anhaltischen Theater Dessau feiert die musikalisch herausragende, in der Inszenierung stringente, emotional stark berührende wie auch humorvolle Produktion der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach einen großen Publikumserfolg. Das gilt seit der Premiere am 25. Oktober 2019 auch für die in teilweise neuer Besetzung am 22. Februar 2020 gegebene Vorstellung.
Dr. Guido Müller berichtet aus dem Anhaltischen Theater in Dessau. Klassik-begeistert„Die SAMSTAG-PRESSE – 29. FEBRUAR 2020“ weiterlesen
Eine Enttäuschung bereitete der Sologesang Elīna Garančas im Misterioso. Zwar bleibt sie uns keinen einzigen Ton schuldig, aber die von dem Nietzsche-Text und Mahler geforderte Tiefe der Empfindung und des Ausdrucks ist ihre Sache nicht.
Die Konzertabsage von Yannick Nézet-Séguin bescherte Orchester und Publikum ein unerwartetes, aber im Grunde längst fälliges Debüt am Pult. Der junge, knapp dreißigjährige Lorenzo Viotti, Sproß einer urmusikalischen Familie, sprang kurzfristig ein, um Mahlers dritte Symphonie zu dirigieren. Offenbar so kurzfristig, dass sogar das gedruckte Programm mit einem Einlege-Zettel versehen werden musste.
Mahlers fast 100 Minuten dauerndes Werk legt die Latte für einen jungen Debütanten reichlich hoch. Im Kopfsatz meinte man auch noch eine gewisse Nervosität bei Viotti zu spüren, seine Bewegungen waren vielleicht ein wenig zu ausladend, die Generalpausen eine Spur zu lang, wodurch dieser ausladende erste Satz inhomogen wirkte. „Gustav Mahler, Symphonie Nr.3 d-Moll, Elīna Garanča, Philharmonie Berlin, 27. Februar 2020“ weiterlesen
Tatsächlich werde ich auch heute noch dann und wann bei einer Rosenkavalier-Aufführung wehmütig, allerdings weniger, weil mich die Sängerinnen so stark anrühren, sondern weil ich den goldenen Jahren nachtrauere, in denen Aufführungen dieses Stückes Dimensionen erreichten, von denen man sich wohl auf absehbare Zeit verabschieden muss.
von Kirsten Liese
Der Rosenkavalier ist eines meiner Lieblingswerke. Eine Strichliste habe ich zwar nicht geführt, ihn aber so oft gesehen wie keine andere Oper.
Meine besondere Beschäftigung mit dem Stück begann, als ich – inspiriert von Elisabeth Schwarzkopf, die ich damals schon sehr verehrte – meine wissenschaftliche Examensarbeit schrieb. Mein Thema war Strauss‘ Musik im Hinblick auf die in der Partitur enthaltenen Stilkopien von Mozart und Johann Strauß. Wiewohl ich gerade erst Ende 20 war, identifizierte ich mich damals schon stark mit der wunderbaren Figur der Marschallin, wenngleich ich ahnen musste, dass mich die Gedanken dieser Marie-Thérèse noch weitaus stärker einholen würden, wenn ich selbst in ein vergleichbares Alter kommen würde. – Nun vielleicht nicht unbedingt schon mit 38, zumal wir ja alle immer älter werden, aber ab Anfang 50, wenn man häufiger die Haare färben muss, die Falten im Gesicht zunehmen und man nicht mehr so gerne in den Spiegel schaut. Kurzum, den genialen „Zeit“-Monolog, das Räsonieren über das Altern und die Vergänglichkeit, kann ich inzwischen noch stärker nachempfinden.
Kürzlich schaute ich mir den neuen Rosenkavalierin der Neuproduktion der Berliner Staatsoper an, die wegen André Heller für viel Wirbel sorgte. Der Regisseur musste herbe Kritik einstecken: Die einen störten sich an dem fehlenden Rokoko-Charme, den anderen war die Inszenierung zu brav.
Aber darum muss man keinen großen Rummel machen. Für mich war es eine durchschnittliche Aufführung ohne Höhen, aber auch ohne Tiefen. Die Bühne strahlt keine Hässlichkeit aus, die Regie verortet das Stück nicht abstrus an einem abwegigen Ort, das ist in heutigen Zeiten schon viel. Was die Sängerinnen und Sänger angeht, bin ich allerdings andere Maßstäbe gewohnt, dies insbesondere im Hinblick auf die Figur der Marschallin.
Vermutlich ist unter den heutigen zur Verfügung stehenden Strauss-Sopranen Camilla Nylund wirklich eine der besten. Sie singt die Marschallin kultiviert, mit lyrischem Feinsinn und mit weniger Schärfen als 2019 die Kaiserin in der Wiener Frau ohne Schattenund die Capriccio-Gräfin in Frankfurt. Aber als überirdisch schön würde ich ihren Gesang nicht bezeichnen, und berührt hat sie mich nicht.
Die Marschallin, das sagte Elisabeth Schwarzkopf, die in dieser Partie überzeugte wie keine andere, ist keine Figur, mit der man auftrumpfen kann. Für die Rolle braucht es subtile Ausdrucksnuancen und eine reiche Farbpalette. Die Marschallin muss uns rühren in ihren so klugen Gedanken, in ihrer Melancholie über das Altern, in ihrem Verzicht. Wenn das alles nur so dahin gesungen wird, ist es nichts.
Oftmals sind es nur Nebensätze oder einzelne Wörter, die, entsprechend mit Elegie, Weisheit und Grandezza vorgetragen, bewegen oder eben auch nicht. Und natürlich bedarf es für die emotionalen Befindlichkeiten, wenn man sie denn schon nicht selbst durchlebt hat, zumindest der Fantasie!
Natürlich hätte ich Elisabeth Schwarzkopf allzu gerne einmal live auf der Bühne in dieser Rolle gesehen. Als sie 1971 ihre letzte Marschallin in Brüssel sang – und das muss laut Zeitzeugen ungemein ergreifend gewesen sein, auch für sie selbst – war ich erst sieben Jahre alt, das hätte ich wohl in dem zarten Alter nicht goutieren können. Zum Glück wurde sie aber in Bild und Ton Anfang der 1960er Jahre gleich zwei Mal in ihrer Paraderolle verewigt: in einer Produktion der Salzburger Festspiele unter Karajan, und in einem unveröffentlichten Mitschnitt von den Wiesbadener Maifestspielen. Beide Dokumente weisen sie unübertroffen als DIE Marschallin aus, sowohl hinsichtlich ihrer Noblesse, aber auch in dem emotionalen Amalgam aus Wehmut, Pikanterie, Generosität und Überlegenheit. Ihr nimmt man es ab, wenn sie sagt: „Leicht muss man sein: mit leichtem Herz und leichten Händen, halten und nehmen, halten und lassen“.
Wenn ich so zurückdenke, gab es freilich in früheren Jahrzehnten noch andere wunderbare Marschallinnen: die Schweizerin Lisa Della Casa, die sich nicht zufällig oft mit Schwarzkopf in der Rolle in Salzburg unter Karajan abwechselte, Gundula Janowitz und Gwyneth Jones, die mich so berührten, dass mir am Ende des ersten und dritten Akts die Tränen kamen, sowie in späteren Jahren Kiri Te Kanawa und Soile Isokoski.
Dass Karajan sich Anfang der 1980er-Jahre zu der Äußerung verstieg, Anna Tomowa-Sintow sei die Idealbesetzung, nachdem er zuvor mit Schwarzkopf und Della Casa die besten Marschallinnen an Bord hatte, fand ich unfassbar. Ich will nun die Bulgarin nicht schlecht reden, sie sang ganz passabel, aber längst nicht so nuanciert, und eine Grande Dame war sie in ihrem Auftreten eher nicht.
Felicity Lott, lange Zeit in Münchner Rosenkavalieren zu erleben, war mir stets eine Spur zu kühl, ebenso Anja Harteros in einer Produktion in Baden-Baden. Aber das lag zu einem Großteil an der Regie von Brigitte Fassbaender. Ausgerechnet die nun schrieb zwar in der titelgebenden Hosenrolle in den siebziger Jahren Operngeschichte, insbesondere in der Münchner Carlos Kleiber-Einstudierung, aber mit der Marschallin kann Fassbaender wenig anfangen. Das ist nicht nur ein Eindruck von mir, das hat sie mir in einem Interview sogar eingestanden auf meine Frage hin, ob sie es nicht wie ihre Kolleginnen Sena Jurinac und Christa Ludwig gereizt habe, vom Octavian auf die Marschallin umzusatteln, als die Hosen zu eng wurden. Ein klares „Nein“ erhielt ich da zur Antwort mit der Begründung, dass sie eben dieses Hadern mit dem Alter und das sich-im-Verzicht-Üben nicht so mag. Vielleicht war es auch einfach so, dass Fassbaender solche emotionalen Befindlichkeiten an sich selbst nicht herankommen lassen wollte. Entsprechend hat sie die Figur als Regisseurin jedenfalls inszeniert, als zu abgeklärt und erhaben über die Leiden. Ich sehe Anja Harteros noch vor mir, wie sie beim Schlagabtausch mit ihrem Liebhaber unbeteiligt ihre Haare bürstet, als ginge ihr das gar nicht nahe, dass sie den „Buben“ noch dafür trösten müsse, dass er sie „über kurz oder lang wird sitzen lassen“.
Dabei hatte Fassbaender in der besagten Aufführung unter Kleiber mit Gwyneth Jones eine sehr feinfühlige und mitnichten larmoyante Marschallin zur Seite, die allen Facetten der Figur gerecht wurde, wie Hofmannsthal sie sich vorstellte: ein halb mal lustig, ein halb mal traurig.
Deborah Voigt, die ich vor etwa 20 Jahren als Marschallin in Berlin unter Christian Thielemann sah, sang ebenfalls sehr gut, wirkte aber mit ihrer damals noch korpulenteren Erscheinung im Szenischen weniger überzeugend, Michaela Kaune, die in dieser Inszenierung von Götz Friedrich dann etwas später die Rolle übernahm, passte schon besser, erschien fast eher noch zu mädchenhaft und jung.
Am besten aus jüngerer Zeit gefiel mir Renée Fleming im Baden-Badener Rosenkavalier unter Christian Thielemann, die als Dame von Welt überzeugte und an einigen Stellen vom Timbre und seitens ihrer Diktion her verblüffend ähnlich klang wie Schwarzkopf.
Eine Entdeckung in einer Hamburger Aufführung, in der Peter Konwitschny vor längerer Zeit Regie führte, war zudem die Sopranistin Brigitte Hahn, die mit luziden, kristallklaren Spitzentönen in dem herrlichen Terzett Hab mir’s gelobt im dritten Akt aufwartete, wie sie aktuell selten geboten werden. Es war aus meiner Sicht sogar eine der besten Arbeiten von Konwitschny, in der er sich sehr vielschichtig und sensibel mit den drei Frauenfiguren und wechselnden Geschlechteridentitäten beschäftigte.
Christa Ludwig, die erfolgreich im reiferen Alter vom Octavian zur Marschallin wechselte, und von der Leonard Bernstein gesagt haben soll „simply the best“, habe ich leider in der Partie nur auf Platte gehört. Sie lebt, wie sie mir in Interviews wiederholt sagte, mit den Sätzen dieser Figur, „und wenn man das Lassen kann, dann hat man es wirklich leichter“.
In der Titelrolle hat natürlich Brigitte Fassbaender Maßstäbe gesetzt, die – abgesehen von ihren stimmlichen Qualitäten – schon deshalb so gut zu der Rolle passte, weil sie aus ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe zu Frauen nie ein Geheimnis machte. Das entbehrte im ersten Akt, wenn Octavian und Marschallin im Bett zusammen erwachen, nicht einiger Pikanterie, unweigerlich war sie unendlich beliebt bei lesbischen Opernfans.
Sehr angetan war ich zudem von Sophie Koch in der Titelpartie, die als androgyner Typ eine hervorragende Figur machte.
Unter den großen Sängerdarstellern des Ochs ist gewiss Günter Groissböck in der aktuellen Berliner Staatsopern-Produktion ein hinreißender Komödiant, auch wenn für mich Otto Edelmann, ob nun im Salzburger Film oder Wiesbadener Mitschnitt, als ungeschickter, draufgängerischer Flegel unübertroffen bleibt.
Unvergessen als Sophie ist natürlich Anneliese Rothenberger, es war die Rolle ihres Lebens. Unzählige Male hat sie sie gesungen, aber irgendwann, als sie Anfang 50 war, erschien es ihr doch nicht mehr passend, wenn der Ochs sie als ein „junges Madel“ bezeichnet, da dachte sie, dass es doch Zeit sei, die Sophie abzugeben, sagte sie mir bei unserem Interview wenige Jahre vor ihrem Tod.
Unter den Sophien, die ich auf der Bühne sah, erinnere ich mich besonders gerne an Christine Schäfer, deren Karriere vor einigen Jahren schon fast unmerklich ohne einen Abschiedsabend endete, und an Diana Damrau.
Im Kontext mit meiner Examensarbeit beschäftigte ich mich selbstredend mit den originalen Bühnen- und -kostümentwürfen für die Uraufführung von Alfred Roller, die mir zeitlos schön erscheinen.
So wie der Rokoko-Charme der Musik eingeschrieben ist, haben mir immer die Inszenierungen am besten gefallen, in denen das Wien Maria Theresias sich wiederspiegelte, insbesondere die unverwüstliche von Otto Schenk in Wien. Aber es muss nicht unbedingt eine opulente Ausstattung her, sie darf nur nicht vulgär sein. So gesehen hatte die zur Entstehungszeit der Oper angesiedelte von Herbert Wernicke, mit einem ansprechenden Spiegelkabinett im ersten Akt, ihren Reiz.
Unter den moderneren Regiearbeiten gefiel mir am besten die von Richard Jones 2015 in Glyndebourne. Der hatte eine tolle Idee für die erste Szene: Da trat die Marschallin nach dem Aufstehen unter die Dusche, dies aber nicht voyeuristisch, vielmehr hielt Octavian ein großes Handtuch vor ihren nackten Körper, so dass das Publikum ihn nicht sehen konnte, was aber die Fantasie im Kopf ungemein beflügelte. – Dies umso mehr, als nach dem Duschen die beiden Frauen hinter dem Handtuch intime Zärtlichkeiten austauschten.
Tatsächlich werde ich auch heute noch dann und wann bei einer Rosenkavalier-Aufführung wehmütig, allerdings weniger, weil mich die Sängerinnen so stark anrühren, sondern weil ich den goldenen Jahren nachtrauere, in denen Aufführungen dieses Stückes Dimensionen erreichten, von denen man sich wohl auf absehbare Zeit verabschieden muss.
Kirsten Liese, 28. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lieses Klassikwelt (c) erscheint jeden Freitag. Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag. Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag. Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag. Langes Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .
Das begeisterte Publikum dankte den Künstlern mit anhaltendem großen Beifall, mit vielen Bravorufen für die Sänger, den Chor, das Orchester und den Dirigenten und mit Standing ovations. Eine der folgenden Vorstellungen in Dessau sollte man sich nicht entgehen lassen. Hier stimmte in dieser Repertoire-Vorstellung einfach alles!
Anhaltisches Theater Dessau, 22. Februar 2020 Jacques Offenbach, Hoffmanns Erzählungen (Les Contes d’Hoffmann)
Foto: Anhaltisches Theater Dessau, wikipedia.de (c)
Fantastische Oper in fünf Akten. Libretto von Jules Barbier
von Guido Müller
Am Anhaltischen Theater Dessau feiert die musikalisch herausragende, in der Inszenierung stringente, emotional stark berührende wie auch humorvolle Produktion der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach einen großen Publikumserfolg. Das gilt seit der Premiere am 25. Oktober 2019 auch für die in teilweise neuer Besetzung am 22. Februar 2020 gegebene Vorstellung.
Persönliche Stellungnahme von Plácido Domingo auf seiner Facebook-Seite Placido Sunday – Mexico 2.27.2020
I feel like I must issue an additional statement to correct the false impression generated by my apology in some of the articles that reported on the AGMA investigation.
My apology was sincere and wholeheartedly, to any colleague I may have hurt in any way for anything I have said or done. As I have repeatedly stated, it has never been my intention to hurt or offend anyone.
But I know what I haven’t done and I will deny it again. I’ve never behaved aggressively to anyone, and I’ve never done anything to obstruct or harm anyone’s career. On the contrary, I have dedicated much of my half-century in the opera world to supporting industry and promoting the career of countless singers.
I am so grateful to all the friends and colleagues who so far, have believed in me and supported me in these difficult times. To prevent you from affecting, harm or cause any additional inconvenience, I have decided to retire from my upcoming La Traviata performances at the Teatro Real in Madrid.
In addition, I will retire from theatre performances and companies that have difficulty in carrying out those commitments. On the other hand, I will fulfill all my other commitments where circumstances allow.
Madrid Plácido Domingo sagt Auftritte im Madrider Teatro Real ab
Der Opernstar wollte mit seiner Entscheidung möglicherweise einer Absage durch das Theater zuvorkommen. Anfang der Woche hatte er sexuelles Fehlverhalten zugegeben Der Standard
Die Heimat kehrt Placido Domingo den Rücken
Nach dem Schuldspruch gegen Harvey Weinstein kann sich „MeToo“-Bewegung weiteren Erfolg auf die Fahnen schreiben. Wiener Zeitung
Hamburg/ Elbphilharmonie Der strahlende Ausklang des himmlischen Chores krönt einen eindrucksvollen Auftritt, der noch lange in Erinnerung bleiben wird
Kann der irdische Schmerz überwunden werden? Kann der Satan besiegt werden? Werden sich letztlich die himmlischen Mächte durchsetzen? Auf Basis der Seligpreisungen aus der Bergpredigt komponierte César Franck Ende des 19. Jahrhunderts ein selten aufgeführtes Oratorium der französischen Romantik. Der Symphonische Chor Hamburg führte dies mit ausgewählter Solistenbesetzung souverän im Großen Saal der Elbphilharmonie auf.
Frank Hörster berichtet aus der Elbphilharmonie Klassik-begeistert
Coronavirus an der Oper: Mailänder Scala bleibt geschlossen
Nach der Infektion eines Chormitglieds werden die Aufführungen bis Montag ausgesetzt. Bürgermeister Sala fordert die Wiedereröffnung der Museen Der Standard Mailänder Scala bleibt bis mindestens 2. März geschlossen
Auch die weltweit größte Möbelmesse findet nicht statt Wiener Zeitung„Die FREITAG-PRESSE – 28. FEBRUAR 2020“ weiterlesen