Tatsächlich war diese ENO-Inszenierung mehr als nur „politically correct“ – sie war penetrant. Mit dem Seziermesser hat sie den von ihr offenbar im historisch-politschen Kontext der Ära Offenbachs nicht restlos verstandenen feinen Humor des Altmeisters Offenbach klinisch entfernt und diesen durch eine einzige Botschaft ersetzt: Euridice als hilfloses Opfer in einer bösen, sexbesessenen Männerwelt.
Foto: English National Opera © Clive Barda
English National Opera, 28. November 2019
Jacques Offenbach, Orpheus in the Underworld
von Charles E. Ritterband
Die English National Opera lancierte im November vier eigenwillige und in jeder Beziehung höchst unterschiedliche Projekte zum Thema „Orpheus“. An dieser Stelle bereits besprochen wurde Glucks „Orpheus and Eurydice“ – eine nicht vollkommen gelungene Mischung aus Oper und (modernem) Ballett unter Zitierung des britische Künstlers Damien Hirst mit Euridices Leiche in einer Glasvitrine. Ein wahres Feuerwerk aus Kostümen, deren farbenprächtige Üppigkeit mehr an den Karneval von Rio als an die Opernbühne erinnert, garniert mit flächendeckenden Videoprojektionen bot Harrison Birtwistles avantgardistische Oper „The Mask of Orpheus“ (1986; Libretto Peter Zinovieff; Regie Daniel Kramer). Diese stieß beim Publikum im altehrwürdigen Coliseum auf höchst unterschiedliche Reaktionen – zwischen Begeisterung und totaler Verwirrung. Großartig war – und einhellig bejubelt wurde – „Orphée“ mit der hypnotisierenden Musik von Philip Glass (Regie: Netia Jones): Die hervorragende Inszenierung beruht auf Jean Cocteaus legendärem Schwarzweißfilm und variiert den Orpheus-Mythos auf überaus spannende, intelligente Weise. „Jacques Offenbach, Orpheus in the Underworld
English National Opera, 28. November 2019“ weiterlesen