„Götterdämmerung“ Unter den Linden: Starke Bilder stehen am Ende dieses Ringes

Richard Wagner, Götterdämmerung  Staatsoper Unter den Linden, 9. Oktober 2022 PREMIERE

Andreas Schager (Siegfried), Anja Kampe (Brünnhilde) © Monika Rittershaus

Götterdämmerung
Dritter Tag des Bühnenfestspiels
DER RING DES NIBELUNGEN (1876)
Text und Musik von Richard Wagner

Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin

Christian Thielemann, Dirigent
Dmitri Tcherniakov, Regie und Bühnenbild

Staatsoper Unter den Linden, 9. Oktober 2022 PREMIERE

von Peter Sommeregger

 Aus dem Dunkel der völlig leeren Bühne schreitet Brünnhilde zur Rampe. Sie trifft auf ihre stark gealterte Mutter Erda, auf deren Hand der Waldvogel flattert. Am Bühnenhintergrund wird ein Text sichtbar, der vorsichtig optimistisch einen Neuanfang in Aussicht stellt. Es ist die von Wagner wieder verworfene erste Textfassung der Schluss-Szene.  Dieses letzte Bild prägt sich ein, steht es doch auch in völligem Gegensatz zu dem an dieser Stelle üblichen Weltenbrand. So destruktiv Dmitri Tcherniakovs Sicht auf Wagners Ring streckenweise wirkte, so versöhnlich ist dieser Ausklang.

In den sechs Stunden davor hatte die Regie erneut für ungewohnte Tableaus gesorgt. Hinreißend die drei Nornen, die allesamt mit Gehhilfen ausgestattete alte, gebrechliche Frauen sind. Siegfried und Brünnhilde bewohnen nun jene Kleinwohnung, die bereits als Hundings Hütte und Mimes Behausung diente. Wir erleben glückliches Alltagsleben, inklusive einer Dusche, bei der Siegfried in Gestalt von Andreas Schager viel Haut und seinen durchtrainierten Körper zeigt. Die transparente Wand aber, die bisher die Beobachtung der Wohnung ermöglichte, gibt es nicht mehr. Ein subtiler Hinweis darauf, dass sich Siegfried nicht mehr unter der Kontrolle des Forschungsinstitutes befindet.

Andreas Schager (Siegfried) (c) Monika Rittershaus

Als Halle der Gibichungen  dient wieder ein Konferenzraum des Instituts E.S.C.H.E., die Geschwister Gunther und Gutrune sind als leicht beschwipste oberflächliche Geschöpfe gezeichnet, ihr Halbbruder Hagen dagegen als gefährlich intrigantes Kraftpaket. Der selbstverliebte Siegfried geht ihm nur allzu leicht in die Falle und verspricht nach Einnahme eines Vergessens-Trunks bereitwillig, Brünnhilde für Gunther als Frau zu gewinnen. Das Schwert Nothung ist abermals nicht sichtbar und man beginnt zu realisieren, dass Siegfried es nie geschmiedet hat. Brünnhilde hat inzwischen Besuch von ihrer warnenden Schwester Waltraute bekommen, die sie vergeblich vor dem Fluch, der auf dem Ring liegt, warnt. Dem nicht verkleideten Siegfried gelingt die Eroberung Brünnhildes mühelos und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Der zweite Akt spielt in dem bereits bekannten Hörsaal des Institutes, hier gelingt Tcherniakov ein ungemein dichtes Kammerspiel, das die brisante Situation, kulminierend in der Schwurszene, plastisch beschreibt. Johannes Martin Kränzle, diesmal als fast nackter Greis tritt noch einmal als intensiver Alberich auf.

Johannes Martin Kränzle (Alberich), Mika Kares (Hagen) (c) Monika Rittershaus

Zu Beginn des dritten Aktes wird Siegfried im Stresslabor von den Rheintöchtern untersucht, deren Warnungen schlägt er in den Wind. Anschließend schließt er sich wieder der Jagdgesellschaft an, die in diesem Fall ein Baseballteam ist. Spielfläche ist in der Lobby des Institutes jene Stelle, an der an den Abenden davor die mächtige Weltesche ihren Platz hatte. Wie wir von den Nornen wissen, ließ diese aber Wotan fällen und die Scheite aufschichten. Hagen ersticht Siegfried schließlich mit einer Fahnenstange, sterbend schleppt sich dieser zurück ins Stresslabor, wo er stirbt. Zu den Klängen des Trauermarsches betreten nach und nach alle Mitarbeiter des Institutes erschüttert den Raum, unter ihnen auch der stumm bleibende Chef Wotan und Erda. Man bringt Siegfrieds Leichnam in die Lobby, wo Brünnhilde ihren bewegenden Abgesang anstimmt. Ein stummer, gebrochener Wotan hört ihr dabei zu, nachdem alle anderen den Raum verlassen haben. Es folgt noch das beschriebene Schlusstableau.

Anja Kampe (Brünnhilde), Andreas Schager (Siegfried), Komparserie (c) Monika Rittershaus

Musikalisch gerät dieser Abend zum Triumph für Christian Thielemann und die Berliner Staatskapelle, die eine schlanken, transparenten Wagner zwischen kammermusikalischen Details und wuchtigem Volleinsatz gleichsam zelebrieren. Auch das Ensemble der Sänger bewegt sich auf hohem bis höchstem Niveau.

Rheintöchter und Nornen bilden jeweils klangschöne Terzette. Ein wenig dünn Mandy Fredrichs Sopran für die undankbare Rolle der Gutrune, die ein wenig zu leichtgewichtig gerät. Violeta Urmana gibt der Waltraute nicht ganz das vokale Gewicht, dass diese Figur haben sollte. Ihr einst mächtiger Mezzosopran wirkt ein wenig verbraucht und dumpf.

Anja Kampe (Brünnhilde), Anna Samuil, Kristina Stanek, Noa Beinart, (Drei Nornen) (c) Monika Rittershaus

Lauri Vasar gibt dem Schwächling Gunther ein starkes, glaubwürdiges Profil. Der Hagen von Mika Kares setzt die geballte Kraft seiner schönen Bass-Stimme ein, diesen Hagen möchte man nicht zum Feind haben.

Andreas Schagers Siegfried, ausgestattet mit einem schier unerschöpflich kräftigen Tenor, gibt genau den unbelehrbaren törichten Kraftprotz, der an sich selbst scheitert. Die Brünnhilde Anja Kampes dominiert den Abend mit ihrer warmen, fraulichen Brünnhilde, die sämtliche Facetten dieser Rolle in feinster Nuancierung singt, eine tief berührende Leistung, die begeistert und gleichzeitig in ihrer Intensität betroffen macht.

Nun hat Dmitri Tcherniakov also seinen Ring zu Ende geschmiedet. Am Ende wird das gesamte Ensemble mit frenetischem Applaus gefeiert, ebenso wie Thielemann und das Orchester. Beim Erscheinen des Regieteams erhebt sich allerdings ein wahrer Buh-Orkan, der vom ebenfalls gespendeten Applaus nicht übertönt werden kann. Sicher, der Regisseur hat mit seiner intellektuell extrem anspruchsvollen Deutung dem Publikum einige Rätsel aufgegeben. Was aber besticht, ist die Konsequenz, mit der er seine eigenwillige Lesart des Stoffes auf die Bühne gestellt hat. Die Idee eines Forschungsinstitutes als Schauplatz ist gar nicht so abwegig, ist doch wissenschaftliche Forschung heute ein entscheidend wichtiges Thema.

Wotan sieht die Wälsungen als Versuchsobjekte für ein selbstbestimmtes Handeln, Siegfried soll sich dann endgültig vom Willen des Übervaters Wotan lösen. An diesem Punkt misslingt das Experiment. Siegfried beginnt aus freien Stücken anders zu handeln, als Wotan es sich gewünscht hätte. Das Schwert Nothung wird erst gar nicht geschmiedet, seine ersten Erfolge erringt Siegfried einfach durch rohe Kraft. Seine narzisstisch unbedachte Natur führt ihn nur allzu schnell zum Betrug an seiner Frau und seinem vorhersehbaren, selbst verschuldeten Ende. Ein müder, desillusionierter Wotan verzichtet am Ende sogar auf den finalen Weltenbrand. Tcherniakov gibt uns einiges Bedenkenswertes mit auf den Heimweg.

Die Berliner Staatsoper kann sich zu einem exemplarisch guten neuen Ring gratulieren, der nach zwei mäßigen Vorgänger-Inszenierungen wieder Stoff für Diskussionen gibt. Dass Daniel Barenboim gesundheitlich nicht in der Lage war, ihn selbst zu dirigieren, ist nicht ohne traurige Symbolik: der fast achtzigjährige Dirigent betrieb permanenten Raubbau an seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit, seit einigen Monaten versagt ihm nun sein überanstrengter Körper den Dienst. Parallelen zum resignierenden Wotan Tcherniakovs zu ziehen, bieten sich beinahe an.

Peter Sommeregger, 10. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Siegfried
Andreas Schager

Gunther
Lauri Vasar

Alberich
Johannes Martin Kränzle

Hagen
Mika Kares

Brünnhilde
Anja Kampe

Gutrune
Mandy Fredrich

Waltraute
Violeta Urmana

Drei Nornen
Noa Beinart ,
Kristina Stanek ,
Anna Samuil

Woglinde
Evelin Novak

Wellgund
Natalia Skrycka

Flosshilde
Anna Lapkovskaja

Richard Wagner, Das Rheingold Staatsoper Unter den Linden, Premiere am 2. Oktober 2022

Richard Wagner, Die Walküre Staatsoper Unter den Linden, 3. Oktober 2022 Premiere

Halbzeit: Rheingold und Walküre unter Christian Thielemann an der Berliner Staatsoper Staatsoper Unter den Linden, Premieren 2. und 3. Oktober 2022

Richard Wagner, Siegfried Staatsoper Unter den Linden, 6. Oktober 2022 Premiere

4 Gedanken zu „Richard Wagner, Götterdämmerung
Staatsoper Unter den Linden, 9. Oktober 2022 PREMIERE“

  1. „Nie gab es in Berlin ein solches Buhkonzert gegen einen „Ring“-Regisseur in den letzten 50 Jahren…“ – schrieb ein anderer Kritiker, der diese absurde Inszenierung tapfer durchgestanden hat. Es müssen also doch im Publikum ausreichend viele Opernfreunde gewesen sein, die sich an die Handlung von Wagners Ring-Zyklus noch einigermaßen erinnern können. Der Regisseur dagegen kannte sie offensichtlich nicht und an der Berliner Staatsoper hat sich niemand gefunden,
    sie ihm zu erläutern. Außerdem hat man nicht eindeutig geklärt, ob er einen ernsthaft gemeinten Opernzyklus oder eine Parodie auf die Bühne bringen soll.
    Wenn man sich die veröffentlichten Szenenfotos anschaut, fragt man sich entsetzt, in welchen finanziellen Nöten sich selbst berühmte Opernsänger befinden müssen, wenn sie es sich nicht leisten können, ihre Mitwirkung an einem solchen Trash abzulehnen.
    Nur eine Annahme: Würde man dem russischen „Starregisseur“ Tcherniakov gestatten, in dieser Manier z.B. den „Boris Godunow“ am Moskauer Bolschoi–Theater zu inszenieren (was mit Sicherheit nie passieren wird), hätte er es nicht nur mit einem Buh-Sturm zu tun, sondern er müsste sich ernsthafte Sorgen um seine körperliche Unversehrtheit machen!
    Es gibt übrigens eine absolut werkgerechte Ring-Inzenierung von Otto Schenk an der New-Yorker MET aus den 80er Jahren auf DVD – da bleiben keine Wünsche offen!

    Hans-Jürgen Freudenberger

    1. Lieber Herr Freudenberger,
      woher wissen Sie, was „absolut werkgerecht“ ist?
      Als ich die Schenk-Produktion an der Met (live) gesehen habe, dachte ich mir: nett, aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Werk sieht doch anders aus.
      Herzlichst,
      Gustavo Torlone

      1. Lieber Herr Torlone,
        meine Sicht auf eine „absolut werkgerechte“ Inszenierung ist der Tatsache geschuldet, dass ich im Besitz eines Textbuches von 1910 mit Wagners „Ring“ bin, inklusive der genauen Beschreibung des Bühnenbildes, der Kostüme und der Personenführung in allen Szenen.
        Diese quasi authentischen Regieanweisungen stammen offensichtlich vom Komponisten selbst und wenn man sich die Otto Schenk – Inszenierung anschaut, hat er sich bei seiner Regiearbeit an der New-Yorker MET genau daran gehalten. Dem Publikum hat es offensichtlich sehr gut gefallen, denn die Neuinszenierung von Robert Lepage 2012 mit einer 40 Tonnen schweren Stahlkonstruktion als wandelbarem Bühnenbild ist weitgehend auf Ablehnung gestoßen. Otto Schenk hat übrigens 17 Inszenierungen an der MET vorzuweisen, von „Parsifal“ bis „Don Pasquale“, die sich teilweise jahrzehntelang erfolgreich im Spielplan gehalten haben.
        Was die von Ihnen gewünschte „Auseinandersetzung mit dem Werk“ betrifft, hätte sich Richard Wagner in seinen schlimmsten Träumen gewiss nicht vorstellen können, wie seine Werke 145 Jahre nach der Uraufführung vor allem auf deutschen Bühnen von sogenannten „Starregisseuren“ vom Schlage eines Calixto Bieito, der mit Duldung sensationsgieriger Intendanten seine psysischen Probleme regelmäßig an Sängern und Publikum abarbeitet, zwangsmodernisiert und bis zur Widerwärtigkeit verunstaltet werden.
        Infolge dieser geschilderten Zustände betrete ich schon seit 10 Jahren kein deutsches Opernhaus mehr, besuche regelmäßig in meinem Filmpalast die „MET im Kino“, auch wenn diese Übertragungen natürlich das unmittelbare Theatererlebnis nicht vollständig ersetzen können. Allerdings bieten sie eine durchgängig sehr gute Sicht auf die Bühne und grandiose Nahaufnahmen von Sängern und Musikern, die nur dort zu erleben sind!

        Hans-Jürgen Freudenberger

    2. Guten Tag !
      Ich habe mir den Met Ring auf DVD bestellt. Inzwischen weiter verkauft, da einfach nur sterbenslangweilig. Fast ausschließlich Rampensingen, trotz der „Stars“ kaum zu ertragen. So ist dass, wenn man als Opernhaus auf sponsoring angewiesen ist. Vielleicht hätte sich der Regisseur hier in Berlin das ein oder andere Mätzchen sparen können, aber die Personenregie war genial, zeitgemäß und selten so spannend. Bin jetzt 61 Jahre alt und empfand diesen Berliner Ring als eines der besten, die ich je auf einer Bühne gesehen habe. Viele wollen sich aber leider nicht mehr mit neuen Sehgewohnheiten beschäftigen und sich damit auseinandersetzen und erwarten immer die gleichen beliebigen Inszenierungen, nur alles schön weich gespült wie das meiste heute.

      Jürgen Schemetat

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert