Rising Stars 39: Katharina Ruckgaber, Sopran, singt das Lied von Liebe und Tod

Rising Stars 39: Katharina Ruckgaber  klassik-begeistert.de, 9. Februar 2023

Bild:  © Nicky Webb

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.


von Dr. Lorenz Kerscher

Katharina Ruckgaber habe ich erstmals im Jahr 2018 als Liedsängerin erlebt. Zusammen mit dem Bariton Johannes Kammler und Akemi Murakami am Klavier interpretierte sie das Italienische Liederbuch von Hugo Wolf und beeindruckte mit einer temperamentvollen Darstellung der flatterhaften Geliebten. Mit feinem, hellem Timbre, blitzsauberer Intonation, guter Textverständlichkeit und komödiantischem Talent prägte sie sich mir als eine sehr interessante Nachwuchskünstlerin ein, die mit Überzeugung und Begeisterung das klassische Lied zu einem Schwerpunkt ihres Wirkens gemacht hat.

Schubert: Romanze (aus Rosamunde) – Katharina Ruckgaber & Daniel Heide

Die 1989 in München geborene Sopranistin wurde gleich nach ihrem Studienabschluss im Jahr 2014 in das Opernstudio der Oper Frankfurt aufgenommen und wirkte in der Folgezeit auch an CD-Aufnahmen zweier Opern und zweier Oratorien von Johann Simon Mayr mit. Seit 2017 ist sie Ensemblemitglied am Theater Freiburg. Zahlreiche interessante Rollen hat sie schon dargestellt, von Susanna bis Mélisande, von Zerlina bis Musetta, von Adele in der Fledermaus bis zu Janáčeks Schlauem Füchslein. Engagements hatte sie auch in Darmstadt und Karlsruhe, ihr Aktionsradius liegt also vor allem im Oberrheingebiet und leider so weit von dem meinen entfernt, dass ich sie noch nie auf der Bühne erleben konnte.

So ist sie für mich vor allem als engagierte Liedsängerin präsent und ich freute ich mich sehr, als sie Ende 2022 eine CD mit interessantem Repertoire herausbrachte. Ihre Idee war dabei, die Lieder zu einer Liebesgeschichte zusammenzustellen, die sich am Ende zu einem Kriminalfall zuspitzt. Gewiss zielt dieses Konzept darauf ab, junges Publikum in den Bann ihrer Kunst zu ziehen und mit auf die Reise zu nehmen. Darauf ist auch das Vorstellungsvideo zugeschnitten.

Katharina Ruckgaber & Jan Philip Schulze – Love and Let Die (Vorstellung des Albums)

Die Wahl des Repertoires ist durch eine große Freude an stilistischer Vielfalt geprägt. So kann Katharina Ruckgaber nachweisen, dass sie das ganze Spektrum der Liedkunst von der Wiener Klassik über Romantik, Fin de Siècle, Musik des 20. Jahrhunderts bis hin zu Luciano Berios avantgardistischer Sequenza III für Frauenstimme abdecken und gestalten kann. Ihre Stimme spricht in allen dynamischen Schattierungen vom feinsten Pianissimo bis ins kräftige Forte bestens an und ermöglicht ihr immer eine saubere Artikulation und gute Textverständlichkeit. Mit Jan Philip Schulze hat sie auch einen versierten und einfühlsamen Pianisten an der Seite, der immer präzise, je nach Notwendigkeit brillant spielt oder auch feinsinnig gestaltet.

Die Geschichte beginnt mit Liebeswerben in unterschiedlicher, verschiedenen Wesensarten entsprechender Form. In Hugo Wolfs „Heiß mich nicht reden“ sucht Goethes geheimnisvolle Mignon einen Beschützer, Schönberg ermahnt die Mädchen, in die Offensive zu gehen, um beizeiten einen Mann zu finden. Hanns Eisler vertont dagegen eine hilflos wirkende Zeitungsanzeige, während bei Joseph Marx eine junge Dame auf die Wiederkehr des jungen Mannes wartet, der ihr am Vortag Rosen gebracht hatte. Hugo Wolfs „Begegnung“ ist der spritzige Nachklang einer stürmischen Liebesnacht, in Zemlinskys „Selige Stunde“ kommt der Mensch im Liebesglück zur Ruhe und Franz Liszt träumt sich in „Es muss ein Wunderbares sein“ in die Illusion einer das ganze Leben andauernden Harmonie der Seelen inmitten des Getriebes der Welt.

Katharina Ruckgaber & Jan Philip Schulze – Es muss ein Wunderbares sein (F. Liszt)

Sechs Komponisten sind also schon in ganz unterschiedlicher Tonsprache zu Wort gekommen, um den Weg von der Sehnsucht zur Erfüllung nachzuzeichnen, und Katharina Ruckgaber hat dieses Kaleidoskop mit abwechslungsreichem Leben erfüllt. Doch schon erahnt Zemlinskys „Geflüster der Nacht“ kommendes Unheil, Othmar Schoeck, Mozart, Schubert, Wolf und Brahms lassen die Frauen über untreue Männer klagen und am Ende kann es mit Franz Liszt nur noch heißen: „Vergiftet sind meine Lieder“. Mit modulationsfähiger Stimme und immer dem sprachlichen Duktus folgend wird dieses Wechselbad der Gefühle überzeugend nachgezeichnet.

Und nun wird es kriminell: Georg Kreisler umgarnt mit seinem schwarzen Humor ein Folteropfer, das gelingt ganz im Geiste der vorgeschobenen und umso unheimlicheren Harmlosigkeit, die für diesen Künstler so typisch ist. Anschließend erahnt Anton von Webern in „Am Ufer“ Unheimliches und Kurt Weill lässt nach einem Text von Bertolt Brecht eine Wasserleiche verwesen, wobei ton- und vibratoloser Gesang erschauern lässt. Hanns Eisler lässt in einem Monolog aus Shakespeares Hamlet von gräßlichen Untaten künden und am Ende bleibt die Gewissensqual um den Suizid des nicht erhörten Mädchens in Heinrich von Herzogenbergs Eichendorffvertonung „Ein Gleiches“. Deren Schlussvers „Dass ich wie im Wahnsinn sprechen muss nun in irren Liedern“ zieht folgerichtig Luciano Berios irrsinnig wirkende Sequenza III für unbegleitete Frauenstimme nach sich. Hochvirtuos ist das und verlangt der Interpretin noch vieles mehr ab, als nur Gesang. Am Ende des musikalischen Liebesromans soll dann doch nicht der Wahnsinn stehen, den Abschluss bildet ein trauriger Rückblick auf vergangene Träume im von Bruno Walter vertonten „Vorbei“. Und wenn man die CD noch etwas weiter laufen lässt, kommt noch ein frivoler Abschiedsbrief als Bonusstück.

Mit diesem Album zeigt Katharina Ruckgaber, dass sie das klassische Lied in allen erdenklichen Stilrichtungen und Facetten sowohl technisch brillant als auch ausdrucksstark gestalten kann und will. Damit weist sie sich als eine Hoffnungsträgerin für die Zukunft der Liedkunst aus. Als in die Jahre gekommener Bildungsbürger kann ich natürlich nicht für jüngere Zielgruppen sprechen, aber der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass ihre Art der Gestaltung neues Interesse am klassischen Lied wecken kann. Kürzlich habe ich sie live bei einer Veranstaltung erlebt, in der Kunstliedvortrag mit Poetry Slam kombiniert wurde, und habe erlebt, dass sie in diesem Rahmen bei dem fast ausschließlich jungen Publikum sehr gut ankam. Die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen wird sie, davon bin ich überzeugt, weiterhin voranbringen!

Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.

Dr. Lorenz Kerscher
„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

Weiterführende Information:

Bestellmöglichkeit von „L ove and Let Die“ bei jpc

Offizielle Webseite

Agenturprofil

Katharina Ruckgaber in Wikipedia

Rising Stars 35: Das Barbican Quartet klassik-begeistert.de 17. November 2022

Rising Stars 30: Tassilo Probst, Violine klassik-begeistert.de

Stars & Rising Stars, Musikalische Begegnungen in München, Eröffnung 13. Mai 2022

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