Ehrlich sympathisch – Portraitkonzert des Komponisten Vito Žuraj in der Elbphilharmonie

Vito Žuraj
Warm-up für Horn und zwei Schlagwerker
Schub’rdy G’rdy für Sopran, Akkordeon, Schlagwerk und Klavier
Contour für instrumentales Quintett
Aftertouch für Ensemble
La femme 100 têtes für Sopran und Kontrabass
Top Spin für Schlagwerktrio
Ensemble Modern
Rinnat Moriah Sopran
Paul Cannon Kontrabass
Elbphilharmonie, 10. April 2017

von Julian Bäder

Es gibt einfach Menschen, die sind auf eine unmittelbare Art sympathisch. Das hängt in erster Linie gar nicht mit deren Schaffen zusammen, das ist einfach so. Vito Žuraj ist ein solcher Mensch. Der slowenische Komponist, der in Deutschland lebt und arbeitet, hat einfach eine Art, die von einer grundlegenden Ehrlichkeit ist, dass er einem sofort sympathisch ist.

Nachdem Ende März schon sein Orchesterwerk Stand Up im Großen Saal der Elbphilharmonie erklang, widmet das Hamburger Konzerthaus am Hafen dem Komponisten nun an einem ganzen Abend, ein Porträtkonzert im Kleinen Saal. Für die NDR-Konzertreihe „das neue werk“ ist das Frankfurter Ensemble Modern zu Gast, um eine Auswahl von sechs kammermusikalischen Werken des Komponisten vorzutragen.

Der rote Faden ist die Sportleidenschaft von Vito Žuraj. Wenn er nicht gerade komponiert, spielt er leidenschaftlich gerne Tennis und hat diesem Sport einige Stücke seines Œuvres gewidmet. Davon stehen zwei auf dem Programm: Warm-Up und Top Spin.

Warm-Up kommt zwar aus dem Sportkontext, soll aber nicht den Warm-Up-Prozess beim Sport abbilden, sondern eher ein kompositionstechnisches Warm-Up. Žuraj schrieb dieses Stück als Vorbereitung für ein Hornkonzert, das er für den Solo-Hornisten des Ensemble Modern, Saar Berger, schreiben sollte. Die virtuos schnellen mikrotonalen Läufe des Horns, von zwei Perkussionisten klangfarbentechnisch ausgeschmückt, sind schon eine große Herausforderung für den Hornisten. Und anscheinend auch für einige Zuschauer der Elphi, die nicht darauf eingestellt waren, ihren musikalischen Horizont zu erweitern.

Zugegeben, als einfacher Zugang zu Žurajs Kompositionsweise taugt dieses Stück eher weniger. Schub´rdy G´rdy ist schon in seiner Konzeption deutlich zugänglicher. Der Titel ist ein Neologismus aus Schubert und Hurdy Gurdy, übersetzt Drehorgel. Was schon vieles zu dem Stück sagt. Der Komponist beschreibt es als Schubert-Paraphrase. Das thematische Material von Schubert stammt aus dem „Leiermann“ der Winterreise, dem „Erlkönig“ und dem „Ave Maria“. Rund um diese paraphrasierten Themen hat Žuraj mit dem Dramaturgen Patrick Hahn – der auch Moderator des Abends ist – eine neue Geschichte gespannt: Ein Leiermann, der sich im Lokal betrinkt, macht der Bedienung schöne Augen, wird aber so aufdringlich, dass die Bedienung ihn kurzerhand umbringt.

Diese skurrile Geschichte hat Žuraj nun genauso skurril umgesetzt. Instrumentiert hat er das Ganze für Klavier, Schlagzeug, Sopran und ein mikrotonales Akkordeon. Im Laufe der Geschichte hört man in den verschiedenen Instrumenten Schubert-Zitate, die immer mehr verfremden. Das Ganze würde wie eine etwas oberflächliche Aneinanderreihung von Schubert-Zitaten wirken, wenn da nicht diese direkte humoristische Ebene wäre, die das Stück dauerhaft am Leben hält und die von den Musikern, allen voran der wirklich tollen Sopranisten Rinnat Moriah, nahezu szenisch dargeboten wird. Gipfeln tut das Ganze dann, nachdem der Leiermann umgebracht wurde, in dem Zitat von Ellens drittem Gesang, dem bekannten „Ave Maria“, zu dem die Sopranisten mehrfach schmachtend ansetzen will, aber immer wieder von wütenden Einwürfen der restlichen Instrumentalisten gestört wird.

Vito Žuraj selbst beschreibt seine Aufnahme als Kompositionsstipendiat in der Internationalen Ensemble Modern Akademie als „das bislang wichtigste Ereignis“ in seinem künstlerischen Leben. Diese Verbundenheit von Ensemble und Komponist merkt man beiden Seiten an diesem Abend fast dauerhaft an. Alle Stücke entstanden nach den Jahren als Stipendiat und man merkt schnell, dass sie in enger Zusammenarbeit mit den Künstlern entstanden sind. In fast jedem Stück wird der Instrumentalist aufgefordert etablierte Muster aufzubrechen und über seinen Schatten zu springen. Besonders La Femme 100 tetes für Sopran und Kontrabass und Top Spin für Schlagzeugtrio fordern enormen Einsatz und hohe Flexibilität von den Interpreten. So muss der Kontrabassist Paul Cannon bei La Femme 100 tetes irrsinnig hohe Flageoletts spielen und am Ende sogar selber singen.

Top Spin ist noch eine Spur aberwitziger. Es handelt sich hier um eines von Žurajs Tennis-Stücken (der Top-Spin bezeichnet einen Schlag, bei dem der Ball von unten getroffen wird und dadurch ein Effet nach vorne bekommt), das die Drehung des Balls szenisch darstellt. Dafür ist ein runder Tisch mit verschiedenen Schlaginstrumenten auf der Bühne aufgebaut. Um den Tisch sind drei Instrumentalisten verteilt. Sie fangen langsam an sich um den Tisch zu bewegen und spielen dabei weiter. Die Musiker spielen ihre Instrumente auf dem Tisch nicht herkömmlich, sondern schlagen sie mit Teelöffeln an – eine enorme Herausforderung für die Schlagzeuger, aber klanglich sehr reizvoll. Obwohl einem der Schlagzeuger am Ende ein Löffel aus der Hand gleitet, kriegt er es irgendwie hin, ihn wieder aufzuheben; er spielt weiter und kommt dabei nur ein wenig aus dem Rhythmus.

Nicht jeder Profi-Musiker würde bereit sein, sich für solch ein Stück auf die Bühne zu stellen. Dadurch sagen Žurajs Stücke viel über die Musiker aus, die sie spielen. Noch mehr verraten sie über den Komponisten selbst: jemand, der sich nicht als unnahbarer genialischer Künstler darstellt, jemand der sich nicht hinter strengen Kompositionsregeln versteckt, sondern von spontanen Einfällen leiten lässt, jemand der Spaß hat, an dem was er tut… und jemand der ein Konzert nutzt, dass eigentlich ihm gewidmet ist, um zwischen zwei Stücken seiner Mutter zu gratulieren, die extra aus Slowenien angereist ist und am nächsten Tag Geburtstag hat. Einfach sympathisch.

Julian Bäder, 12. April 2017 für
klassik-begeistert.de

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