Dorothea Röschmann glänzt in Mozarts Figaro

Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro
Wiener Staatsoper, 9. September 2017
Gräfin Almaviva Dorothea Röschmann
Graf Almaviva Carlos Alvarez
Susanna Andrea Carroll
Figaro Adam Plachetka
Cherubino Margarita Gritskova
Adam Fischer Dirigent
Jean-Louis Martinoty Regie

Von Jürgen Pathy (klassikpunk.de)

Zur Eröffnung der Saison 2017/18 lockt die Wiener Staatsoper wieder mit Superlativen: Das Who-is-who der Opernbranche gastiert im Haus am Ring. Nach Anna Netrebko, die am Donnerstag in Giuseppe Verdis „Il Trovatore“ einen triumphalen Auftritt aufs Parkett gelegt hatte, lockte jetzt eine weitere weltweit umjubelte Stimme: Dorothea Röschmann.

Mit der „Hochzeit des Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart stand ein wohlklingendes und dem treuen Opernbesucher bestens bekanntes Werk auf dem Programm. Das kundige und verwöhnte Wiener Opernpublikum ließ sich nicht lange bitten und sorgte für ein berstend volles Haus. Im Parkett nutzten die Damen dem Anlass entsprechend die Gelegenheit ihre noble Abendgarderobe auszuführen, auf den Rängen und im Stehplatzparterre fielen dem Opernbesucher das ein oder andere mehr als nur unpassende, kurzärmelige Fußball-Trikot ins Auge.

Die erste der drei „Da-Ponte-Opern“ – „Figaro“, „Don Giovanni“ und „Cosi van Tutte“ – die Mozart in Zusammenarbeit mit dem italienischen Librettisten Lorenzo da Ponte auf die Bühne zauberte und damals wie auch heute auch zu ver-zaubern vermag, zählt zu den meist aufgeführten Bühnenwerken des „großen“ wenn nicht sogar des größten Musikgenies aller Zeiten.

An diesem Abend führt der Staatsopern-erprobte Adam Fischer das gewohnt auf höchstem Niveau spielende Orchester der Wiener Staatsoper behutsam durch den glanzvollen Abend und wird mit seinem feinfühligem Dirigat dem großen Meister gerecht. Hier, auf dem ruhmreichen Pult, wo sich die Seelen unzähliger Dirigenten-Götter ein abendliches Stell-Dich-ein geben, ist der Ungar ganz in seinem Element, hier hat er auch schon den Ring des Nibelungen von Richard Wagner dirigiert. Unaufdringlich, dezent und einfühlsam, ja, teilweise vielleicht schon zu vorsichtig, lässt er sein Spitzenensemble den Gesang untermalen und mit der erforderlichen Mozart‘ schen Zärtlichkeit die Klänge durch den Saal schweben. Niemals forsch, nie nach Aufmerksamkeit lechzend, dient er ganz allein dem großen Ganzen. Nur im äußersten Fall lockt er den Fokus der Zuhörer in den Orchestergraben.

In der Titelpartie des „Figaro“ kann Adam Plachetka nicht von Anfang an vollends überzeugen. Der seit der Saison 2010/11 zum Staatsopern-Ensemble avancierte Tscheche, im Haus ein gern gesehener und umjubelter Publikumsliebling, wirkt im ersten Akt noch etwas unsicher und nervös. Sein Schauspiel wirkt unnatürlich, als fühle er sich am heutigen Abend nicht wirklich wohl in seiner Künstlerhaut. Die Stimme wackelt und enttäuscht mit fehlendem Volumen, um die Staatsoper vollends mit der geforderten und auch notwendigen Klangfülle zu bestrahlen.

Mit Beginn des zweiten Akts scheinen alle Unsicherheiten wie von Geistes Hand hinweggefegt. Die zuvor noch etwas brüchige und schwächelnde Stimme besticht plötzlich in voller Pracht, ihr mächtiges Volumen erfüllt den Raum bis zu den hintersten Plätzen und die Tiefen wirken beeindruckend satt und voll. Diese erstaunliche stimmliche Wandlung mündet in der Figaro‘ schen Glanzleistung des Abends: im Rezitativ und in der Arie „Tutto è disposto“ – „Aprite un po’ quegli occhi“ des vierten Akts. Dank dieser enormen Progression strömt mit der frenetischste Schluss-Applaus in Richtung Bühne, als der „verliebte Gatte“ sich alleine dem Publikum stellt.

Als Susanna, dem Figaro versprochene Gattin und vom Grafen ins Visier genommene Kammerzofe der Gräfin, glänzt eine von Anfang an mit ihrer Bühnenpräsenz strahlende, in der Stimme sehr jugendliche, bewegliche Andrea Carroll.  Wie auch der Figaro hebt sie das künstlerische Niveau des hauseigenen Ensembles enorm in die Höhe. Ihr fliegen neben bereits erwähntem „Göttergatten“ auch die meisten Herzen des Wiener Publikums entgegen. Beiden war es vergönnt im tosendem Schluss-Applaus samt lauten Bravo-Rufen zu baden.

Wo meisterhafte Momente zu erleben sind, liegen oft leider auch weniger phänomenale nicht so fern. Der spätpubertierende und der reifen Gräfin nicht unwohl gesinnte Cherubino hinterlässt an diesem Abend einen farblosen Eindruck. Schauspielerisch vermag Margarita Gritskova den jugendlichen Esprit zwar zu vermitteln, aber gesanglich fällt die Darbietung des jungen Pagen eher mau aus. Besonders im tiefen Register zeigen sich gehörige Schwächen. Warum ihm das Wiener Publikum bei „Voi Che Sapete“, normalerweise die Arie mit der ein erstklassiger Cherubin so richtig auftrumpfen könnte, den gleichen Szenenapplaus schenkt wie manch anderer weitaus besser skandierter Arie an diesem Abend, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis.

Um den edlen oder auch weniger edlen Schlossherren Graf Almaviva glaubwürdig zu mimen und in bester Manier zum Leben zu erwecken, verlangt es nach einem gestandenen Darsteller: Kammersänger Carlos Alvarez, dessen Staatsopern-Debüt bereits mehr als zwanzig Jahre zurückliegt, kann allen Forderungen gerecht werden. Ein beneidenswert sicheres Auftreten gepaart mit einer vollen Baritonlage geben der Rolle des nach seinem Feudalrecht der „ersten Nacht“ einfordernden Adeligen den nötigen Nachdruck. Wenn man etwas kritisieren wollte, dann die zum Schluss hin vielleicht etwas spürbar nachlassende Kraft in der Stimme. Überwältigend hingegen das Duett von Gräfin und Graf zum Ende des 2. Akts – die beiden geben ein faszinierendes Bühnenpaar und begeistern mit außerordentlichem harmonischem Zusammenspiel.

Für die Rolle der Gräfin Almaviva wurde mit Dorothea Röschmann eine der renommiertesten Mozartinterpretinnen der Gegenwart und der letzten Jahre ans Haus engagiert. Wenn sie die Bühne betritt, ist sie zu 100 Prozent präsent. Diese Ausnahmekünstlerin kennt keine Aklimatisierungsphase oder ähnliche Schwächen. Bereits mit dem ersten Ton weiß die gebürtige Flensburgerin ihr Instrument präzise meisterhaft einzusetzen und den Zuhörer zu betören: in den Arien wie in den oftmals viel zu wenig beachteten Rezitativen, die sie unvergleichlich mit voller Stimme und markantem Timbre voll und satt bis in die letzten Reihen strömen lässt. In dieser Vollendung hat man Rezitative nur selten erleben dürfen, denn so vorgetragen, sind sie beinahe in der Lage dieselbe emotionale Wirkung zu erzeugen wie eine herzergreifende Arie. Kurzweiliger kann man Rezitative einfach nicht präsentieren. Das ist einfach große Meisterschaft!

Vielleicht hat die Röschmann nicht mehr ganz den jugendlichen, agilen Sopran, der sie hat groß werden lassen, umso mehr ertönt er nun reifer und dunkler, und wenn sie „Dove Sono“ singt, vermag die 50-Jährige noch immer das ein oder andere verblüffende Staunen zu hinterlassen. Bravo-Rufe gab es vom begeisterten Rezensenten, weniger vom restlichen Publikum. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten…

In den kleineren Rollen des Abends kann der ein oder andere nicht nur positiv überraschen, sondern brilliert zur Gänze. Eine tadellose Marcellina gibt Ulrike Helzel. Als Bartolo erstaunt der Bassbariton Ryan Speedo Green mit einem genüsslich durch und durch gehenden vollen Bass, wie man ihn sich als Opernbesucher regelmäßig wünschen würde!

Mit der Sensation des Abends wartet der intrigante und hinterhältige Musiklehrer Basilio auf. Verblüffend zu entzücken weiß die helle, glasklare und kernige Stimme des jungen Russen Pavel Kolgatin, der mit einem erstaunlichen Timbre aufhorchen lässt und ohne zu übertreiben einen gewissen Charme der großen italienischen Tenöre des frühen zwanzigsten Jahrhunderts versprühen kann. Trotz der sehr kleinen Nebenrolle ist er der heimliche Star des Abends – vielen Dank für diesen in Erinnerung bleibenden wenn auch viel zu kurzen Hörgenuss! Man kann nur hoffen, dass der 30-Jährige eine gute technische Ausbildung genossen hat und sich nicht zu früh von Partien verführen lässt, die der Stimme bei unsachgemäßem Gebrauch schweren Schaden zufügen können. Wenn das Organ hält, was es verspricht und auch die nötige Ausdauer besitzt um in größeren Rollen zu brillieren, dann sollte man diesen Pavel Kolgatin definitiv auf dem Radar haben!

Inszenierung als auch Dirigat werden konservative Gemüter bis auf wenige Ausnahmen höchst erfreuen. Zu den Ausnahmen zählt mit Sicherheit ein etwas absurd anmutendes, von der Größe alles andere überstrahlende Abbild von Jesus am Kreuze, das den ganzen 2. Akt als auch über weite Strecken des 4. Akts herhalten muss. Vermutlich soll es als Hingucker eines harmlosen, prüden, biedermeierischen Bühnenbildes inklusive dazu passenden Kostümen dienen. Wer aus dem Orchestergraben originell Neues erwartet, dem wird nicht Genüge getan. Bei der Genialität einer Mozart-Oper ist Neues jedoch auch nicht notwendig, und alt-erprobte Tempi sind nicht umsonst ein regelmäßig bewährtes Mittel.

Im Großen und Ganzen ist dies definitiv ein sehr schöner, empfehlenswerter „Figaro“ im Haus am Ring. Alleine der Röschmann und des kernigen Basilio wegen lohnt sich ein Abstecher in die Wiener Staatsoper – und auch der gediegenen und unaufdringlichen zarten Töne wegen, die das anmutige Dirigat des Adam Fischer verströmt.

Jürgen Pathy http://klassikpunk.de 10. September 2017, für
klassik-begeistert.at

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