Klassik vom Feinsten: Die 25 meistgelesenen Beiträge auf Klassik begeistert (4)
3650 Beiträge haben wir als größter Klassik-Blog in Deutschland, Österreich und der Schweiz (google-Ranking) in den vergangenen viereinhalb Jahren veröffentlicht. Jetzt präsentieren wir die 25 meistgelesenen Opern- und Konzertberichte, Interviews, Klassikwelten und Rezensionen – jene Beiträge, die Sie seit Juni 2016 am häufigsten angeklickt haben. Wir wünschen viel Freude beim „Nachblättern“.
4 – Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Jonathan Bloxham (Dirigent); Elbphilharmonie Hamburg, 31. März 2019
Erkki-Sven Tüür, Flamma / für Streicher
Franz Schubert, Sinfonie Nr. 7 h-moll D 759 „Unvollendete“
Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11
Foto: © Maxim Schulz
von Andreas Schmidt
Der Generalintendant der Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, hat ein beachtliches Zeichen gesetzt: Allein am Dienstag, 26. März 2019, und am Sonntag, 31. März 2019 bat er die jeweils 2100 Zuschauer im Großen Saal vor den Konzerten nachdrücklich um Ruhe und Disziplin in seinem Hause. Beide Male gab es kräftigen Applaus für den Elphi-Chef.
Damit setzt der Leiter von Elbphilharmonie und Laeiszhalle um, was Klassik-Liebhaber, Musiker und Dirigenten schon seit Eröffnung der Elbphilharmonie am 11. Januar 2017 fordern: dass das Verhalten des Publikums sich dem Niveau der zahlreichen Weltklasseorchester und –solisten sowie der Weltklasse-Architektur anpassen möge.
Schon seit Beginn des Betriebs ist der Genuss in der Elbphilharmonie an fast jedem Abend getrübt: nahezu in jedem Konzert verleiden mit den Gepflogenheiten in Opern und Konzerten ungeübte Zuschauer dem größeren Rest der Zuschauer durch Geräusche, Gesabbel, Handybenutzung, Handygeklingel und lautes Gehuste den Abend. Es gab immer wieder Abende mit „Völkerwanderungen“ im Großen Saal, bei denen bis zu 100 Gäste vorzeitig die Spielstätte verließen, weil sie mit der Musik oder der Spieldauer nicht klar kamen.
Ein Hauptgrund für die unschönen Gepflogenheiten im (was die Baukosten betrifft) teuersten Konzerthaus der Welt: Die Elphi-Macher verweigerten sich bis dato, den Zuschauern im Großen Saal klipp und klar zu sagen, dass Handys im Betrieb im Saal nichts zu suchen haben. Dies schien dem „demokratischen Geist“ des von Hamburger Steuerzahlern für schließlich 866 Millionen Euro erbauten Prachtbaus an der Elbe nicht zuträglich zu sein. Man wollte anders und ein bisschen lässiger sein im Hamburger Hafen. Und niemanden verprellen.
Die Rechnung war bitter: Immer stärker wurden die Klagen von Zuschauern, die es nicht mehr einsahen, für Spitzenkonzerte bis zu 425 Euro zu bezahlen und dafür noch mit störendem Verhalten anderer Konzertbesucher belohnt zu werden.
Der große Pianist Igor Levit brachte es in zeitonline.de wunderbar auf den Punkt: „Der Große Saal ist fantastisch. Er hat seine Tücken, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Und jetzt kommt das große ‚Aber’: Da gehen Menschen hin, die einen wunderschönen Abend haben wollen – und das sage ausgerechnet ich, der ich sonst keine Gelegenheit auslasse, den Bezug zwischen Kunst, Politik und realem Leben herzustellen. Aber die Menschen, die ins Konzert gehen, wollen Musik hören und sich von der Musik berühren lassen. Wollen wir denen wirklich sagen: Geh da nicht hin, der Raum ist blöd? Jeder Mensch ist frei, nicht hinzugehen.“
Keine Frage: Der Große Saal hat seine Tücken. Wer gute Ohren hat, der hört messerscharf, wie der Zuschauer sieben Plätze weiter das Papier von seinem Bonbon entfernt. So betörend der Gesamtklang im piano und fortissimo sein kann, so wunderbar herausragende Instrumente aus dem Orchester herausgehört werden können, umso nervenaufreibender sind ungehemmte Hustenattacken und die zahlreichen Gespräche, die immer wieder zwischen klassik-fernen Menschen stattfinden.
Und keine Frage, es ist wunderbar, dass auch Menschen, die den Namen Mendelssohn Bartholdy bislang noch nie gehört haben, dessen großartige 1. Sinfonie am Sonntagabend in der Elbphilharmonie hören – von einem Bremer Orchester, das drei Klassen über dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg spielt. Aber für alle gilt: In der Klassik gelten einige wenige Spielregeln: Absolute Ruhe, Ruhe, Ruhe. Und kein Klatschen, bevor die Sinfonie zu Ende ist, weil sonst die Magie flöten geht und die Musiker aus dem Takt kommen.
Die Elbphilharmonie ist das Konzerthaus in Europa, in dem die Menschen am massivsten und penetrantesten zwischen den Sätzen klatschen. Das ist kein Wunder, wenn – wie zuletzt bei den Montagskonzerten des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg – nach dem Konzert zehn Reisebusse auf mehr als 700 Gäste aus ganz Deutschland warten, die zu großen Teilen auch Kombinationspakete mit Musicals und Hotel- und Restaurantbesuchen buchen.
Die Montagskonzerte am 11. Februar und am 18. März 2019 waren ein Armutszeugnis in Sachen Ruhe und Disziplin seitens eines großen Teils der Zuschauer. Der Wiener Musikprofessor Reinhard Rauner brachte es wunderbar auf den Punkt: „Musik klasse, Architektur Weltklasse, große Teile des Publikums in Jahrmarktstimmung.“
Und dann die Auftritte des Christoph Lieben-Seutter. Vor dem Konzert des Budapest Festival Orchestra und fünf Tage später der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Mit Mikrophon tritt er vors Publikum. Die Verstärker sind in 30 Sekunden von der Decke heruntergefahren – das können die Techniker vor der Rede machen – und ebenso schnell wieder in Ruheposition – währenddessen kommt das Orchester in den Saal, das dauert mindestens zwei Minuten.
Der Elphi-Boss erläutert die Besetzungsänderungen im Dirigat und sagt, viele hätten sich beschwert, er werde eine Ansage zum „richtigen Verhalten“ machen. „Ich möchte Sie herzlich bitten, die Mobiltelefone auszuschalten. Zur Musik gehört Stille, und die Stille in der Elbphilharmonie ist besonders.“
Zum Husten und Räuspern merkt er an, es sei „gut“ zu husten, wenn die Musik laut sei. Und es könne nicht schaden, wenn man die Hand vor den Mund nehme.
Es gibt viel Beifall von vielen Zuschauern. Die Worte von Christoph Lieben-Seutter wirken befreiend. Sie sind überfällig! Die Leute hören ihm gerne zu – Wiener Charme und Wiener Tonfall kommen in HH immer gut an. Und wenn der Chef sich persönlich um einfache, aber wichtige Dinge kümmert – dafür war CLS schon in Wien als Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft bekannt, wo er auch für die Generalsanierung des wunderbaren Wiener Konzerthauses verantwortlich war –: um so besser!
In einem Punkt aber irrt der 54-jährige Klassik-Manager: „Wir können solche Ansagen nicht immer machen.“ Die technische Anlage, die Lieben-Seutter als Grund nannte, ist kein Grund: Durch die Inbetriebnahme des Kubus’ kommt es zu keinerlei Verzögerungen.
Wahr hingegen ist, dass CLS nicht jeden Abend im Großen Saal Benimmregeln verkünden kann, auch er hat ein Recht auf Freizeit und Feierabend. Er ist eh häufig abends vor Ort.
Aber die „Jahrmarkt-Stimmung“ in der Elphi hat gezeigt, dass das Publikum hier (persönliche) Ansprachen – die klassik-begeistert.de seit Beginn des Spielbetriebes immer wieder fordert – benötigt. Denn immer noch besuchen sehr viele Menschen die Elbphilharmonie primär wegen des „Ich-will-da-mal-drinnen-gewesen-sein-Faktors“ – auch wenn Klassik so gar nicht ihres ist. Wenn dann gar Moderne Musik auf dem Programm steht, flüchten viele Elphi-Besucher scharenweise aus dem Großen Saal.
Fazit: Die gut zwei Jahre Elphi haben gezeigt: Persönliche Ansprachen sind jeden Abend und Morgen im Großen Saal dringendst erforderlich. Lautsprecher-Ansagen im Treppenhaus, die niemand versteht und hört (weil alle im Gespräch sind), sind wirkungslos und werden nicht wahrgenommen. Um den Ruf der Elphi nicht zu gefährden, sollte der – pseudo-demokratische – Habitus des „Wir-wollen-unseren-klassik-fernen-Zuschauern-nicht-zu-nahe-treten“ ad acta gelegt werden.
Herzlichen Dank, lieber Christoph Lieben-Seutter, dass Sie für etwas sorgen, was selbstverständlich sein sollte: Ruhe und Respekt vor der göttlichen Musik. Nach Ihren beiden Ansprachen war es mucksmäuschenstill im Tempel.
Andreas Schmidt, 1. April 2019, für
klassik-begeistert.de
Der Herausgeber von klassik-begeistert.de ist sechsfacher Elphi-Abonnent und schätzt sich trotz der leider nicht abebbenden Unruhe im Großen Saal glücklich, schon mehr als 130 Aufführungen in Hamburgs neuem Wahrzeichen besucht zu haben.
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