In den zwei bisherigen Folgen konnten wir staunen, welch interessantes künstlerisches Leben ein einfaches Ensemblemitglied haben kann. Im letzten Teil arbeiten wir neben den Aufbaujahren der Wiener Staatsoper nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg den Menschen Ljubomir Pantscheff und seine Wesenszüge markanter heraus.
von Lothar Schweitzer
Foto: Georgi Zlatew mit seinem Schüler Ljubomir Pantscheff als Philipp II. © Pantscheff-Archiv, Wien
Ljubomir Pantscheff von seiner anderen Seite gesehen
Zum Leidwesen seiner Mutter bahnte sich nichts zwischen Ljuba (Welitsch) und Ljubo an. Die Sängerkollegin war auch sehr kapriziös – und arm wie eine Kirchenmaus. Unser am Anfang nach Beschreibungen noch dürrer junger Mann wurde immer fescher und hatte das „Ideal“ eine reiche Frau mit einer Liebesheirat zu verbinden.
Jenny Pantscheff berichtet: „Ljubomir erschien an diesem Abend gelassen im Hotel Bristol. Er trug einen dunklen Anzug und hatte die vom Ex-Zar Ferdinand geschenkte Krawattennadel angesteckt. Mein Taufpate, der mit dem Königshaus befreundet war, zeigte sich sofort beeindruckt. Ich war sprachlos, als die Männer zu verhandeln begannen. Vom englischen Silberbesteck bis zum silbergrauen Sportcabriolet mit Lederpolsterung, einer ungarischen Köchin, die unseren Haushalt versorgen sollte, den frischen Gebirgsforellen, die jede Woche aus Bulgarien eingeflogen werden sollten – alle Details der Eheschließung wurden besprochen … Nach einer märchenhaften Hochzeit war der Traum einer gesicherten Existenz mitten in der Not des Krieges wie eine Seifenblase zerplatzt. Doch das kittete unsre Beziehung nur fester zusammen. Nach den Finanzverhandlungen im Hotel Bristol lernte ich Ljubomir nun von einer anderen Seite kennen: als verantwortungsvollen Partner, der statt sich ins gemachte Bett zu legen das Ruder in die Hand nahm.“ Jenny Pantscheff fallen Sarastros Worte ein: „Ein Mann muss eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jede Frau aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten.“
Nach der Schließung der Wiener Theater Ende Juni 1944 konnte sich Ljubo auf den Diplomabschluss im Welthandelstudium konzentrieren und den Doktortitel anstreben. Dem Mangel an Farbbändern für die Schreibmaschine zum Trotz. Unvergessen sind ihm die Worte seines Lehrers Lierhammer geblieben: „Die Stimme ist eine Gottesgabe, die jederzeit wieder zurückgenommen werden kann.“ Daneben leistete er als bulgarischer Staatsbürger Arbeitsdienst in einer Fabrik für Schutzmaskenfilter
Die Oper lebt
Am 14. April 1945 waren die Kämpfe in Wien zu Ende. Es spricht für den russischen Stadtkommandanten, dass er den Befehl gab Oper zu spielen. Er wird von Iwetta Milewa nicht namentlich erwähnt, nach meinen Recherchen war es von April bis Oktober Generalleutnant Alexej W. Blagodatow. Sein Name verdient es, genannt zu werden. Der kommissarische Leiter der Oper Alfred Jerger organisierte in der unversehrt gebliebenen Volksoper „Figaros Hochzeit“. Ljubo war wegen seiner bevorstehenden Doktoratsprüfung nicht eingesetzt.
Im Juni versammelte der neu ernannte Direktor der Staatsoper Franz Salmhofer alle Sänger und Musiker im vom Bombenangriff verschont gebliebenen Stiegenhaus der Staatsoper, um ihnen das Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrer alten Heimat wiederzugeben. Sie konnten sich überzeugen, dass im ehrwürdigen Gebäude am Ring nicht gespielt werden kann. Aber neben der Oper am Gürtel wollte er die Staatsoper auch im operngeschichteträchtigen Theater an der Wien aufleben lassen. Das Ensemble der Staatsoper wurde vorderhand mit dem der Volksoper vereinigt. Es gab einen Sängerüberschuss, allein sechzehn Bassisten. Der Appell Salmhofers im Stiegenhaus der Oper am Ring sich in den aufopfernden Dienst der Kunst zu stellen verhallte manchmal bei prominenten Sängern. Ludwig Weber war sehr unwillig den Arzt Dr. Grenvil in „La Traviata“ zu übernehmen. Für mich ist diese Partie ein Prüfstein für die künstlerische Begabung eines Nachwuchssängers, wenn er nach der todkranken Violetta schaut und Annina diskret ihr nahes Ende anvertraut. In der Oper Dresden traf der Oberspielleiter Heinz Arnold für Gottlob Frick – nachzulesen in Klaus Günthers Biografie „Der Sängerfürst“ – eine salomonische Lösung. Er nahm den Dr. Grenvil aus dem ersten und dritten Bild heraus, um nicht das Gefühl einer Komparsenrolle aufkommen zu lassen.
Pantscheff hatte seinen ersten Auftritt im neu gebildeten Ensemble als Einspringer für den Bassisten Herbert Alsen, der den Minister in „Fidelio“ hätte singen sollen. Man hat ihn spüren lassen, dass er von der Seite der Volksoper ins Team gekommen war. Nach der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper scheint seine Aufnahme ins Staatsopernensemble von selbst erfolgt zu sein.
Eine nachhaltige Begegnung
Eines der Schlüsselereignisse im Leben Ljubos war die Begegnung mit Nikolai Ghiaurov am 10. Mai 1957 anlässlich eines Konzerts bulgarischer Opernsänger im Brahms-Saal. Sofort spürten sie in der Pause im Künstlerzimmer eine besondere gegenseitige Zuneigung. Am nächsten Tag war Ghiaurov schon bei Ljubomir und Jenny Pantscheff in ihrer Wohnung zu Gast. Es wurde mehr als eine Freundschaft. Für Ljubo war der Kollege gleichsam ein zweites Ich, ein personalisierter Traum von all dem, was er sich selbst nicht zutraute. Das war der Erbteil von seiner Mutter, die, an ihrem Institut hochgeschätzt, ständig übertrieben selbstkritisch Zweifel an der eigenen Arbeit plagte. So hatte er in seiner Jugend nach einem missglückten Staffellauf die Leichtathletik an den Nagel gehängt. Ljubo ruhte nicht, bis er ein Vorsingen für Ghiaurov bei Maestro Karajan vermitteln konnte.
Und als ihm im Winter 1958 über die renommierte Wiener Künstleragentur Vladarski der Gounod´sche Mephisto bei einem Gastspiel in Bologna angeboten wurde, vermittelte er die Rolle an Ghiaurov weiter mit der Begründung diese nicht in seinem Repertoire zu haben. Was für Ghiaurov das Sprungbrett an die Scala di Milano bedeutete.
Ljubo sagte eine Reihe von Liederabenden ab, was den einflussreichen Kunstkritiker und Interviewer Karl Löbl zu der Bemerkung gegenüber Pantscheff veranlasste: „Sie haben einen Brillanten in der Kehle, aber Sie verstecken ihn in einer Schatulle und erfreuen sich an ihm, wenn Sie allein sind.“
Lothar Schweitzer, 29. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt 17: Das Leben des Sängers Ljubomir Pantscheff, Teil 2 Wiener Staatsoper
Schweitzers Klassikwelt 16, Ljubomir Pantscheff, Teil 1 Wiener Staatsoper
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“