Gespannt wurden die Rollendebüts von Jonas Kaufmann und Anja Harteros erwartet. Um es vorweg zu nehmen: enttäuscht haben beide nicht.
Das besondere Ereignis aber ist, was Kirill Petrenko aus dem Graben hören lässt. Das jahrelang von ihm geleitete Bayerische Staatsorchester entwickelt unter seinem Dirigat einen sinnlichen Klangrausch, der zum eigentlichen Handlungsträger wird. Hier findet alle Leidenschaftlichkeit der Gefühle statt, welche die unterkühlt spröde Inszenierung Warlikowskis unterschlägt.
Die Übertragung wurde von einem inzwischen ziemlich zerzausten Thomas Gottschalk moderiert (wozu?), der für ausgiebige Fremdschäm-Momente sorgte.
Richard Wagner, Tristan und Isolde
Livestream der Bayerischen Staatsoper 31. Juli 2021
Foto: München, Bayerische Staatsoper: Anja Harteros und Jonas Kaufmann vor dem Vorhang © Instagram
von Peter Sommeregger
Die letzte Aufführung der Tristan-Serie der Bayerischen Staatsoper wurde noch gestreamt, und war in München auch auf dem Marstallplatz Open Air zu erleben. Wie häufig in der zu Ende gehenden Ära des Münchner Intendanten Nikolaus Bachler zeichnete der Pole Warlikowski für die Regie verantwortlich. Der extrem schrullige Regisseur verzichtet in weiten Teilen auf eine Ausdeutung der Handlung, streckenweise entstand die Anmutung einer konzertanten Aufführung.
Gespannt wurden die Rollendebüts von Jonas Kaufmann und Anja Harteros erwartet. Um es vorweg zu nehmen: enttäuscht haben beide nicht. Für Harteros ist die Isolde mit Sicherheit eine Grenzpartie, sie teilt sich die schwierige Rolle aber klug ein. Was ihr nicht gelingt, ist die Reihe von Spitzentönen am Beginn des Liebesduetts, aber darüber mogelt sie sich elegant hinweg. Insgesamt liegt ihr die Rolle erstaunlich gut, sie singt erfreulich textdeutlich und kann die satten Farben ihres Soprans effektvoll zur Geltung bringen, auch im Forte wirkt die Stimme unangestrengt.
Jonas Kaufmann hat sich den Tristan erfolgreich erarbeitet, seine Stimme klingt ausgeruht, selbst im Fieberwahn des dritten Aufzuges scheint er noch über Reserven zu verfügen, sein Tenor ist inzwischen tatsächlich zum Heldentenor gereift. Dabei sind naturgemäß die etwas zarteren Farben eines lyrischen Tenors auf der Strecke geblieben, aber der kräftige Strahl der Stimme entschädigt dafür.
Auch in den anderen Partien hat die Bayerische Staatsoper nicht an Besetzungs-Luxus gespart: Okka von der Damerau als Brangäne ist ihrer Herrin Isolde absolut ebenbürtig. Ihr voller, reifer Mezzosopran lässt sie als das alter ego Isoldes erscheinen. Wohltuend ihre klare, saubere Gesangslinie und ihre Textverständlichkeit. Etwas ruppiger agiert Wolfgang Koch als Kurwenal, aber auch er kann mit seinem mächtigen Bassbariton aus dem Vollen schöpfen. Ein wenig eindimensional bleibt der Marke von Mika Kares. Es fehlt ihm nicht an Stimmvolumen und sauberer Diktion, aber als Figur wirkt er hölzern unbeteiligt, was aber auch an der fast völlig fehlenden Personenregie liegen mag.
Auch die kleinen Rollen sind ausgezeichnet besetzt, Dean Power als Hirt und Manuel Günther als junger Seemann können mit ihren frischen Tenorstimmen punkten. Giftig, wie es die Rolle verlangt, profiliert sich der Melot von Sean Michael Plumb.
Das besondere Ereignis aber ist, was Kirill Petrenko aus dem Graben hören lässt. Das jahrelang von ihm geleitete Bayerische Staatsorchester entwickelt unter seinem Dirigat einen sinnlichen Klangrausch, der zum eigentlichen Handlungsträger wird. Hier findet alle Leidenschaftlichkeit der Gefühle statt, welche die unterkühlt spröde Inszenierung Warlikowskis unterschlägt.
Abgesehen von einigen schwer zu deutenden bizarren Details verbreitet diese Regie hauptsächlich Langeweile. Das Einheitsbühnenbild, bestehend aus braunen hölzernen Wandverkleidungen, taugt weder für Schiff, Garten oder die Burg Kareol. Auch hier muss die Musik das Defizit heilen: aus dem Graben hört man Meer und flirrende Naturgeräusche.
Wie in heutigen Inszenierungen obligatorisch, gibt es auch Video-Sequenzen, die aber nichts zur Illustration der Handlung beitragen. Den Protagonisten sind nur gebremste Gefühle zugestanden, beim Liebesduett, dieser weiß-glühenden Musik sitzt das Paar auf Distanz in Clubsesseln, ähnlich einer Plauderstunde vor dem Kamin. Dass das Paar sich am Höhepunkt den „goldenen Schuss“ setzen will, wirkt angesichts der bis dahin gezeigten Emotionslosigkeit eher unlogisch.
Die verfremdete, unterkühlte und streckenweise auch unlogische Regie verhinderte, dass aus diesem Abend auch jenseits der Musik ein großer Wurf wurde. Geschlossene Augen hätten geholfen.
Am Ende frenetischer Jubel, und eine unerwartete Zugabe: das Staatsorchester spielt für den Intendanten Bachler, dessen Amtszeit genau an diesem Abend endet, einen fröhlichen Kehraus. Was Kirill Petrenko davon hielt, konnte man an seinem gefrorenen Lächeln ablesen.
Die Übertragung wurde von einem inzwischen ziemlich zerzausten Thomas Gottschalk moderiert (wozu?), der für ausgiebige Fremdschäm-Momente sorgte. Aber das lässt sich, im Gegensatz zur rauschhaften musikalischen Interpretation, leicht wieder vergessen.
Peter Sommeregger, 1. August 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Tristan
König Marke
Isolde
Kurwenal
Melot
Brangäne
Ein Hirte
Ein Steuermann
Ein junger Seemann
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Dirigent Kirill Petrenko
Inszenierung Krzysztof Warlikowski
Hallo Herr Sommeregger,
allgemein stimme ich Ihrer Kritik zu, nur Hr. Gottschalk hatte keine zerzausten Haare, sondern etwas kürzere geordnete Naturlocken. Seine Anwesenheit hat die Atmosphäre am Marstall etwas aufgelockert, außerdem ist es Tradition, daß er bei OPER FÜR ALLE auftritt!
VG aus München
Helga Schröder