Albéric Magnards hinreißende „Orchestral Works“ auf CD – Rettet ihn vor dem Vergessenwerden!

CD Besprechung: Albéric Magnard, „Orchestral Works“

CD Besprechung: Albéric Magnard, „Orchestral Works“
Naxos, DDD, 2017-2019

von Dr. Holger Voigt

Das erhalten gebliebene musikalische Oeuvre des weitgehend unbekannten Komponisten besteht aus noch nicht einmal dreißig Werken. Ein großer Teil seiner Arbeiten fiel den Flammen zum Opfer, in denen auch der Leichnam des Komponisten verbrannte, nachdem er von einer deutschen Patrouille erschossen worden war, die im Begriff war, sein Anwesen zu konfiszieren. Die Soldaten trafen auf einen wehrhaften Patrioten, der nicht davor zurückschreckte, mit Waffengewalt gegen die Besatzer vorzugehen. Das passierte am 3. September 1914 in seinem 49. Lebensjahr (Baron, Department Oise, Frankreich).

Der eigenwillige, hochbegabte Komponist – geboren am 9. Juni 1865 – war der Sohn des Begründers und Inhabers von „Le Figaro“. Ohne finanzielle Sorgen aufgewachsen, bemühte er sich zeitlebens, eben nicht direkt oder indirekt von der Stellung und den Beziehungen seines einflussreichen Vaters zu profitieren, sondern seinen eigenen Weg zu gehen. So ging er nach abgeschlossenem Jura-Studium an das renommierte Pariser Conservatoire, wurde Schüler von Vincent d’Indy und besuchte die Klasse von Jules Massenet. Hier entstanden erste eigene Kompositionen, die zum Teil deutlich auf seine Lehrer zurückverweisen. Doch blieb er dort nicht stehen, sondern entwickelte eine subtile, originäre kompositorische Instrumentationssprache. Mehr und mehr wurde die musikalische Welt auf diesen aufstrebenden Komponisten aufmerksam, der später durch sein tragisches Schicksal um die Früchte seiner künstlerischen Begabung gebracht wurde.

Bereits 2019 erschien bei klassik-begeistert.de eine sehr ausführliche analytische CD-Besprechung von Leah Biebert, die sich Albéric Magnards dritter und vierter Sinfonie widmete. Hier ist nun die Rede von einer CD-Einspielung der Orchesterwerke („Orchestral Works“), die dem interessierten Musikliebhaber eine unvergleichlich günstige Gelegenheit verschafft, das sinfonische Werk Magnards kennen und schätzen zu lernen.

Es sind auf der CD fünf sinfonische Werke in insgesamt 9 Teilen zusammengefasst, brilliant eingespielt vom Philharmonischen Orchester Freiburg unter der Leitung von Fabrice Bollon.

Auch wenn gelegentlich behauptet wurde, Magnard sei in seiner kompositorischen Anlage so etwas wie ein „französischer Bruckner“, tendieren andere Musikkenner eher zu einer Verwandschaft mit César Franck oder Gabriel Fauré. Ich persönlich würde mich beiden Aussagen nicht anschließen und seine kompositorische Expressionsqualität eher mit Gustav Mahler, Richard Wagner oder Erich Wolfgang Korngold assoziieren. Doch dieses möge jeder Hörer für sich selbst entscheiden, zumal es ja auch unter Komponisten keine faktischen Reinkarnationen gibt.

Die „Overture in A Major, Op. 10“ eröffnet die eingespielte Sequenz der CD und führt unmittelbar in sinfonische Klangräume des Komponisten ein, die an Richard Wagner oder Gustav Mahler erinnern (u.a. „Posthornsolo“ aus Mahlers Dritter) und denen man auch später immer wieder begegnen wird.

„Chant funèbre, Op. 9“ ist mit knapp 16 Minuten bereits ein etwas größeres sinfonisches Werk, voller getragener, elegischer Expressivität, das Magnard zum Tode seines Vaters 1894 dessen Andenken widmete.

„Hymne à la justice, Op. 14“: Magnard setzte sich, auch vor Gericht, für Émile Zola ein und komponierte in diesem Sinne seine „Hymne à la justice“. Diese Komposition lässt am Anfang unverkennbar musikdramatische Züge erkennen, deren Wucht unverkennbar ist (fast wie ein „Walkürenritt“). Der fast Wagnersche Klangkosmos bricht schlussendlich unvermittelt auf und bereinigt sich unter tosenden Bläsersignalen in einen triumphalen, alsbald friedlich-versöhnlichen Schlusshymnus. Das ist ein komplettes Mini-Drama in nur 15 Minuten.

Die „Hymne à Vénus, Op. 17“ gemahnt so sehr an Gustav Mahler, dass man geradezu überrascht sein dürfte zu erfahren, dass sie nicht von ihm ist. Hier hört man fast schon überdeutlich die dritte Sinfonie Mahlers anklingen.

Die „Suite d’orchestre dans le style ancien, Op. 2“ ist eine fünfteilige Suite alter, höfischer Tanzweisen („style ancien“) in kurzer Abfolge, in denen Magnard Eigenheiten musikalischer Formen gegenüberstellt.

Fazit: Um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen, kann die hier vorgestellte Zusammenstellung orchestraler Werke Albéric Magnards ein erster Schritt sein. Sie zeigt die gesamte kompositorische Breite der sinfonischen Ausdruckskraft dieses leider weitgehend unbekannten Komponisten. Ich werde nicht müde, unseren Dirigenten und Orchesterleitern ans Herz zu legen, das Werk Magnards nicht untergehen zu lassen und auf die Spielpläne zu setzen.

Dr. Holger Voigt, 31. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

CD-Inhalt:

Philharmonisches Orchester Freiburg, Leitung: Fabrice Bollon

01. Overture in A Major, Op. 10

02. Chant funèbre, Op. 9

03. Hymne à la justice, Op. 14

04. Hymne à Vénus, Op. 17

Suite d’orchestre dans le style ancien, Op. 2

05. I. Française. Allegro giocoso

06. II. Sarabande. Mesto

07. III. Gavotte. Allegro

08. IV. Menuet. Tranquillo

09. V. Gigue. Energico

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