Ein Kammermusikfest nach Weihnachten sollte in Köln wieder zur Institution werden!

Fabian Müller & Friends  Kölner Philharmonie, 26. Dezember 2024

Fabian Müller © Christian Palm

In der Kölner Philharmonie musiziert Fabian Müller mit Julia Hagen und Bomsori Kim auf höchstem Niveau und lässt Erinnerungen an kammermusikalische Hoch-Zeiten in Köln aufleben.

 Kölner Philharmonie, 26. Dezember 2024

Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Sonate für Klavier und Violine Es-Dur op. 12,3

Johannes Brahms (1833-1897) – Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 e-Moll op. 38

Johann Sebastian Bach (1685-1750) / Ferruccio Busoni (1866-1924) – Choralvorspiel „Nun komm’, der Heiden Heiland“, BWV 659

Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) – Klaviertrio Nr. 2 c-Moll op. 66

Bomsori, Violine
Julia Hagen, Violoncello
Fabian Müller, Klavier

 von Brian Cooper, Bonn

Etwas wehmütig denkt man an diesem Abend zurück an die Anfangsjahre der Kölner Philharmonie, als es zwischen den Jahren noch das begeisternde Kammermusikfest „Finale“ gab. Da wurde drei Tage lang zwischen Weihnachten und Silvester aufs Schönste gestrichen, geklimpert, gesungen, oftmals seltenes Repertoire ausgegraben (seitdem habe ich z.B. nie wieder Debussys Chansons de Bilitis gehört), und für Menschen, die Kammermusik lieben, war’s Ende Dezember ein fixer Termin. Ein Fest eben. Mit dem jungen Lars Vogt, Boris Pergamenschikow und ganz vielen anderen großartigen Musikerinnen und Musikern, von denen einige, auch die Genannten, nicht mehr unter uns sind.

Aber es geht weiter, und das ist das tolle Fazit des Abends. Nun geben sich also am zweiten Weihnachtstag „Fabian Müller and Friends“ die Ehre. Die englische Bezeichnung ist im Programmheft nicht mehr zu lesen, aber Fabian Müller ist zum zweiten oder dritten Mal am 26.12. mit Kammermusik zu erleben. Und das Musizieren junger Menschen auf höchstem Niveau – es geht weiter, Leute! – erinnerte an die gloriosen Zeiten, als Kammermusik vorm Jahreswechsel in der Kölner Philharmonie viele Leute anzog.

Und dieser 26. Dezember, der jahrelang, jahrzehntelang, für Paul Kuhn reserviert war, könnte also doch gerne zur Institution werden. Sollte er sogar. Vielleicht ausgeweitet auf drei Tage, von Herrn Müller kuratiert. Und Müller macht’s länger als Kuhn, das wäre doch was. Denn der Saal war am 26.12.2024 für kammermusikalische Verhältnisse gut besucht, die ersten 20 Reihen der Blöcke A-F nahezu voll besetzt. Es besteht also ein Bedürfnis nach Kammermusik. Einige Menschen wollen offenbar nach Trubel und Schnitzelkoma wieder zu Stillerem zurückkehren, zu wahrer Besinnlichkeit, wenn die bucklige Verwandtschaft abgereist ist.

Nicht jeder Mensch im Saal war an diesem Abend ein typischer Kammermusikfan wie etwa im Abo Quartetto (Disziplin!), was sich an lästigem Zwischenapplaus, Tuscheln, Handyklingeln und einfach nur gottlosem Husten ohne Verwendung von Taschentüchern oder gar der Armbeuge zeigte. Und doch gab es einige bekannte Gesichter, deren Jubel nach aufmerksamstem Zuhören – zum Beispiel Du, lieber Thomas, in Reihe 2 – beweist, dass es dieses Bedürfnis gibt.

Spätestens seit seinem spektakulären Einspringer vor einigen Jahren ist Fabian Müller ein vom Kölner Publikum geschätzter Kammermusiker. (Einer von vier COVID-Tests eines Streichquartetts war verschüttgegangen; das Quartett durfte nicht auftreten; und erst gegen 19 Uhr holte man den kochenden Pianisten vom Herd in Turnschuhen auf die Bühne. So zumindest die schöne Anekdote.)

Julia Hagen © Simon Pauly

Nun präsentierten Müller und die beiden Musikerinnen, die Südkoreanerin Bomsori und die Österreicherin Julia Hagen, ein wunderbar abwechslungsreiches Programm, das mit zwei Sonaten begann.

Und im Geiste waren sie alle da, die großen Namen der Kammermusik: Haskil und Grumiaux, Rostropowitsch und Serkin, Dinu Lipatti und natürlich das Beaux Arts Trio.

Bomsori © Kyutai Shim/DG

Der Abend begann mit einer kurzen Moderation von Fabian Müller, und die frühe Beethoven-Sonate op. 12,3 hatte all das, was der Pianist zuvor als Spaß, als Freude am Musizieren, bezeichnet hatte: Man warf sich quasi die Bälle zu, Bomsori Kims wunderschöner Geigenton (ein tolles Instrument, eine virtuose Geigerin) betörte zuvorderst mit Gesanglichkeit. Beethoven war eben nicht nur grimmiger Bonner, sein Humor war hörbar.

Was danach kam, war eindrücklichstes Musizieren auf Augenhöhe, die e-Moll-Cellosonate von Brahms erinnerte an die wirklich ganz großen Zeiten großer Kammermusik. Und daran hat Julia Hagen großen Anteil, von Fabian Müller sensibel begleitet. Es war eine eindrückliche Darbietung, die so schnell nicht vergessen werden wird. Gerade in der tiefen Lage ist ihr Celloton geradezu unwiderstehlich.

Nach der Pause erklang Busonis Bach-Bearbeitung des Choralvorspiels „Nun komm’, der Heiden Heiland“, Müllers Spiel erinnerte durchaus an Dinu Lipatti (auch er viel zu früh verstorben), und es war eine gute Idee, die aufmerksam zuhörenden Musikerinnen schon auf der Bühne zu haben, um das folgende Mendelssohn-Trio in c-Moll nahtlos übergehen zu lassen.

Und dieses Werk kann, wie auch das d-Moll-Trio, nicht oft genug aufgeführt werden. Die Innigkeit des langsamen Satzes, das Stürmische im Kopfsatz und im Finale, und das typisch Mendelssohn’sche Scherzo – alles wurde aufs Schönste dargeboten, ein aufmerksames aufeinander-Hören – all das zeichnete diese Darbietung aus.

Es geht also weiter. Junge Leute machen Kammermusik auf höchstem Niveau. Das ist gut.

Dr. Brian Cooper, 28. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Franz Schubert (1797-1828), Die letzten drei Klaviersonaten D 958-960 Bonn, Beethovenhaus, 9. September 2022

Julia Hagen, Violoncello, Nil Venditti, Dirigentin, Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Bremer Konzerthaus Die Glocke, 11. September 2024

Meisterkonzerte – Klassik für Bremen Konzerthaus Die Glocke Bremen, 10. April 2024

CD-Tipp: Johannes Brahms Violinsonaten 1-3 klassik-begeistert.de, 30. September 2024

 

10 Gedanken zu „Fabian Müller & Friends
Kölner Philharmonie, 26. Dezember 2024“

  1. Lieber Brian,

    vielen Dank für Deine Rezension. Bei Beethoven scheiden sich ausnahmsweise unsere Geister. Lag es am Platz in Reihe 23, dass ich etwas völlig anderes gehört habe? Während Du den Geigenton Bomsoris ausdrücklich lobst, hörte ich ihn scharf, bisweilen rau, fern jeder Wärme. Auch die Balance zwischen den beiden Solisten stimmte nicht. Ihr Ton konnte sich gegenüber dem Klavier nicht durchsetzen und kam nur dünn im oberen Drittel des Saales an. Vielleicht hätte Fabian Müller den Flügel etwas schließen sollen. Von Humor bei Beethoven war da nicht mehr viel übrig – das klang eher nach Sarkasmus.

    Ein völlig anderes Bild ergab sich im Duo mit Julia Hagen am Cello. Deine Begeisterung teile ich hier uneingeschränkt. Auch im Trio stimmte dann alles (hier auch der Klang der Violine). Nur das Publikum wieder nicht – wie auch Du schon schriebst. Es erklatschte sich (zu Recht) eine Zugabe. Diese wurde jedoch mit überraschend schnell abebbendem Applaus quittiert. Offenbar war der Wunsch, schnell zum Auto oder Zug zu kommen, größer als der Respekt vor den Künstlern und die guten Manieren.

    Herzliche Grüße

    Guido

    1. Lieber Guido,

      hab vielen Dank für den interessanten Kommentar. Ich fand’s in der Beethoven-Sonate einfach ein unbeschwertes, irgendwie jugendlich-frisch wirkendes Spiel der beiden. Paradoxerweise kam mir der Flügel in Reihe 9 (Block D allerdings, also etwas seitlich) nicht zu laut vor, bzw. die Geige übertönend. Diese wirkte in der Tat auch mal ein wenig spitz, das schon, aber mich hat es nicht gestört: Das Unbeschwerte schien wichtiger. Und ich fand, die (Spiel-)Freude und der so ganz ungrimmige Beethoven kamen gut rüber. Das Zusammenspiel gefiel mir sehr.

      Die Humperdinck-Zugabe, „Abends will ich schlafen gehn“, sei an dieser Stelle nachgetragen.

      Zu Deinem letzten Satz: In der Tat ist das respektlos, aber es ist den Menschen offenbar egal. Wir haben ja öfter hier über den kollektiven Exodus beim Applaus berichtet und kommentiert.

      Es soll keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen sein, aber das Philharmonie-Parkhaus ist eine Vollkatastrophe, da es nur eine Ausfahrt hat und viele (nicht nur ältere) Leute mit ihren viel zu großen Autos nicht klarkommen und gefühlt ein halbes Jahr rangieren, bis sie aus ihrer Lücke raus sind. Und auf jeden dieser Menschen muss man warten, bis man selber an der Ausfahrt steht. Ich war jedenfalls seit über 20 Jahren nicht in diesem Parkhaus. Erstens, weil das Personal damals unverschämt war und ich es seither boykottiere (keine Reaktion der Philharmonie damals auf meine Schilderungen), und zweitens, weil man viel zu lange wartet, wenn man auf einer der unteren Ebenen steht und das Konzert gut besucht war.

      Herzliche Grüße und einen guten Übergang ins neue Jahr!

      Brian

  2. Lieber Brian,

    vorab möchte ich mich bei Dir herzlich für deinen Beitrag bedanken.

    Aufgrund meiner langsam anstehenden Ruhestandsplanung (werde nächste Woche 58), habe ich mich dieses Jahr (leider viel zu spät) dazu entschlossen, Klavier zu lernen.
    Während einer meiner wöchentlichen Unterrichtsstunden an der HfMT, hat mir mein Trainer empfohlen das Konzert am 26.12 in der Kölner Philharmonie anzuschauen, respektive anzuhören.
    Dem Rat bin ich nachgekommen.

    Ich muss gestehen, dass ich mich in Sachen Klassik wenig bis gar nicht auskenne. Ich hatte zwar in meinem Leben schon den ein oder anderen Kontakt zu Opern oder Ballett, allerdings beschränkt sich diese Erfahrung auf die gängigen, nennen wir sie mal „Blockbuster“ (La Traviata, Turandot, Schwanensee…).
    Mir haben diese Aufführungen immer gefallen, bin aber in meinem Freundes- und Bekanntenkreis der Einzige der Interesse in diese Richtung hegt und habe folglich wohl auch deswegen nur selten solche Veranstaltungen besucht.

    Wie auch immer, ich komme mal zum eigentlichen Punkt.

    Mir ist klar, dass sich ein Klassik-Konzert stark von einem Metal- oder Punk-Konzert unterscheidet. Insofern bin ich selbstverständlich auch mit der nötigen Demut und Zurückhaltung in den Abend gegangen und habe erst dann angefangen Beifall zu klatschen, wenn alle anderen damit angefangen haben.
    Weil, ich weiß einfach nicht, wann Beifall angemessen ist und wann nicht. Ich denke, man darf von jedem Besucher auch nicht erwarten, sich vor dem Besuch intensiv mit dem Programm zu beschäftigen. Ich frage mich auch, woran man eigentlich erkennt, dass genau jetzt der Punkt gekommen ist Beifall zu klatschen? So wie ich das nach Lektüre des Artikel verstehe, ist es bei einem klassischen Konzert offensichtlich anders als wie zum Beispiel in einer Oper, wo es üblich ist, eine großartig interpretierte Arie mit Szenenapplaus zu belohnen.

    Klassische Musik ist für mich ein hoch komplexes, vielfältiges und breites Thema, welches man sich wahrscheinlich nicht mal eben an einem Wochenende aneignen kann.
    Wenn ich kurz auf Sportvokabular zurückgreifen darf, dann bist Du zweifellos sowas wie ein „Ultra“. Nur ohne Bengalos. Insofern werden „Rookies“, wie ich einer bin, nicht mit der Etikette vertraut sein und bestimmt hin und wieder etwas falsch machen.

    Sei bitte ein wenig gnädig mit uns und hab Nachsicht, wir machen das nicht extra und wollen auch niemanden ärgern. Wir wissen es leider nicht besser.
    Am Ende wollen wir alle doch dasselbe. Einen schönen Abend mit faszinierender Musik erleben.

    Was hältst Du denn davon, wenn Du hier einen Blog aufmachst und Laien wie mich in die Welt und die Gepflogenheiten der klassischen Musik sensibel einführst? Ich kann Dir versichern, dass ich Dein erster Follower sein werde.

    Nochmals vielen lieben Dank für deinen tollen Beitrag

    Beste Grüße

    Marc Cinats

  3. Lieber Marc,

    herzlichen Dank für diesen ausführlichen und anregenden Kommentar.

    Woran erkennt man den Moment im klassischen Konzert, da es ok ist, zu klatschen? Ich bin sicher, fast jeder Mensch im Publikum spürt ihn instinktiv. Auch Du. Ob begeistert losklatschen oder ein paar Momente innehalten: Jedes Stück ist anders, und so reagieren die Menschen je nach Werk auch unterschiedlich. Und die Ausführenden gehen ja entweder auf den Applaus ein oder bitten z.B. per Handzeichen darum, mit dem Applaus noch zu warten.

    Du bringst es aber prima auf den Punkt: „Am Ende wollen wir alle doch dasselbe. Einen schönen Abend mit faszinierender Musik erleben.“

    So ist es. In unseren lauten und gehetzten Zeiten vergessen wir allzu oft, dass auch die Stille, mitunter kollektiv erlebt und empfunden, etwas ganz Wunderbares und Kostbares sein kann. Kostbar, da zunehmend selten. Ich finde es ganz wunderbar, dass Du abwartest, bis alle klatschen.

    Der Geiger Daniel Hope hat ein ganzes Buch über das Thema geschrieben („Wann darf ich klatschen? Ein Wegweiser für Konzertgänger“), das ich zwar nicht gelesen habe, das aber vielleicht für Dich interessant sein könnte, denn Herrn Hope ist es ein Anliegen, dass wirklich jeder ohne Hemmschwelle einen Konzertsaal betreten können sollte.

    Ich bin ja gar nicht mal so völlig verständnislos, wenn mal nach dem turbulenten ersten Satz eines Violinkonzerts der begeisterte Applaus aufbrandet. Das kann ich nachvollziehen, und wir sollten das keinesfalls verurteilen.

    Wenn aber jemand zum Beispiel in das Ende von Mahlers (extrem leise verklingender) Neunter reinblökt („Bravo!!!“) oder klatscht, ohne ein wenig abzuwarten, dann ist das unsensibel und taktlos, und bezogen auf das obige Wort auch instinktlos, und dann ziehe ich selbst auch – und jetzt bin ich ganz offen, wir alle haben unsere Vorurteile – gewisse Schlüsse über den Charakter dieses Menschen selbst. Nicht schön von mir, ich weiß, aber ist so. Er hat nämlich gerade 2000 Anderen das Magische einer Neunten Mahler verwehrt, zu der das Stille erzeugende (!) Publikum ebenso beiträgt wie das Orchester, das viel geprobt und sein Bestes gegeben hat. Das ist, mit anderen Worten, wie wenn der skurrile Onkel im Karnevalskostüm auf eine Beerdigung geht und laut ruft: „Nä, wat schön hier!“

    Ich behaupte, dass viele Menschen sich vom Klatschen und vor allem Husten anstecken lassen und dann gedankenlos mitmachen, weil sie Teil einer Herde sind. Obwohl sie gar nicht husten müssen. In Köln wird es dann manchmal zwischen den Sätzen eines Stücks so laut, dass die Nichthuster zu lachen anfangen.

    Anderes Thema: Wenn jemand die ganze Zeit vor oder neben mir redet, und zwar während des Konzerts, dann trübt das meinen Musikgenuss, und sicher auch den Anderer, und dann werde ich sauer und frage mich, ob diese Leute nicht in einem Café besser aufgehoben wären. Vergessen wir aber nicht: Es handelt sich immer um eine Minderheit.

    Ist es nicht ein merkwürdiges Ritual, dieses Applaudieren? Es sei das Brot des Künstlers, sagt man ja.
    Unhöflich und respektlos gegenüber den Menschen auf der Bühne, die gerade im Idealfall alles gegeben haben, finde ich das kollektive Hinauseilen nach dem letzten Ton, den kölschen Exodus, wie ich es nenne. Ich habe auch schon mal eine halbe Stunde am Bahnhof gestanden, weil ich eben nicht zum Zug hetzen wollte, während die Musiker noch auf der Bühne waren.

    Ja, ich bin ein Ultra. Ohne Bengalos. Das gefällt mir.

    In diesem Sinne: Lieben Dank, Marc, einen schönen Silvesterabend (und Geburtstag nächste Woche), auch mit Musik aller Art, und alles Gute für ein glückliches und gesundes 2025.

    Brian Cooper

  4. Das ist eine sehr interessante Diskussion, danke Herr Cinats für Ihre Sichtweise! Niemand sollte mit Bauchweh in ein Konzert gehen müssen, weil er befürchtet, etwas falsch zu machen. Ich habe dieses Unbehagen
    immer, wenn ich in einem Sterne Restaurant oder Hotel sein muss, in dem ich mich fehl am Platz fühle, weil alles um mich herum so etepetete ist. Dieses Getue geht mir schlicht auf die Nerven und lässt mich nicht mehr ich sein. Kein schönes Gefühl, aber ich kann solche Lokalitäten meiden, da entgeht mir nicht viel. Würde ich allerdings klassische Konzerte meiden, weil mir der Verhaltenskodex überdimensioniert scheint, entginge mir sehr viel!
    Die Vorfreude und/oder Neugier sollte vorherrschen. Hatte man eine gute Kinderstube und hält sich an die allgemeinen Anstandsregeln (auch an die der gegenseitigen Rücksichtnahme), kann eigentlich nicht viel schief gehen. Manchmal denke ich auch, dass wir zu streng sind. Ich habe es kürzlich in Zürich erlebt, dass noch mit den letzten Musiktönen der Applaus einsetzte. Ich wurde aus tiefster Verzückung in die reale Welt gerissen. Für den Moment war ich sehr irritiert, aber, ja nun, ich kann mich darüber ärgern, bin aber nicht verpflichtet dazu, denn der Abend war dennoch wunderbar.
    Was ich meine ist: Auf der einen Seite etwas Nachsicht, auf der anderen Seite etwas Vorsicht und schon sollte es klappen, mit einem unbeschwerten Konzertbesuch!
    Kathrin Beyer

  5. Liebe Frau Beyer,

    wie stets trifft Ihr Kommentar den Kern. Und wie stets ist Ihre Stimme eine der Vernunft. Vielen Dank.

    Ihre Erwähnung von Zürich (danke für Ihren Opernbericht vom 29.12.) und von Anstandsregeln lässt mich nun ein wenig abschweifen…

    Opernhäuser sind vielleicht nochmal eine Spur spezieller: Zumindest in Paris, Lüttich und Brüssel wurde mir bei fast jedem Besuch die Ouvertüre dadurch madig gemacht, dass Leute auch nach Beginn hereingelassen wurden, mit der entsprechenden Unruhe: tuscheln, Jacke ausziehen, Handy herausholen und ausmachen (immerhin!) und so fort.

    Das Entgegenkommen der Opern- und Konzerthäuser an solche Nachzügler nimmt leider insgesamt immer stärker zu. Warum eigentlich?

    Hier würden doch ein paar wenige klare Verhaltensregeln im Vorfeld niemandem schaden, etwa: Wer’s nicht pünktlich schafft, zu Beginn der Veranstaltung seinen Gluteus maximus auf seinen Platz zu befördern, hat zunächst mal Pech gehabt und wird erst zu einem geeigneten Zeitpunkt hereingelassen. Das gab’s lange Jahre in der Kölner Philharmonie, man wurde beim Kartenkauf darauf hingewiesen, niemand hat sich beklagt.

    Solche Regeln werden jedoch von den Häusern, auch der Kölner Philharmonie, gegenüber ihrer zahlenden Kundschaft zunehmend aufgeweicht oder abgeschafft.

    (Ein Konzerthaus sollte die Leute auch nicht unterfordern, oder sich bei ihnen anbiedern, indem es z.B. explizit zum Gebrauch des Handys aufruft.)

    Ich bin also ein wenig abgeschweift. Sie sprachen vom Ende der Oper, ich von der Ouvertüre. Aber ich meine, dass ein paar grundlegende Dinge geregelt und dann auch konsequent durchgezogen werden könnten, ohne die Leute groß abzuschrecken. Damit ALLE sich wohlfühlen und ein Bauchgrummeln gar nicht erst auftritt.

    Denn ich möchte schon noch anmerken, dass Menschen, die innerhalb wie außerhalb des Konzertsaals Stille brauchen und suchen, wirklich absolut keine Lobby haben. Sie mögen sich doch bitte nicht so anstellen, heißt es dann schnell.

    Gerade in diesen Zeiten, da sich alle über alles Mögliche empören (manchmal durchaus zu Recht), eine Triggerwarnung für alles Mögliche benötigen (stellen Sie sich vor: Eine Bieito-Inszenierung oder der Film „Schindlers Liste“ KÖNNTEN belastende Szenen enthalten!) oder auf verschiedenste Art mehr wahrgenommen werden wollen (auch das mitunter zu Recht), möchte ich hier auch mal für die Hypersensiblen eine Lanze brechen. Die ärgern sich nämlich stärker als Andere, wenn ihnen, und sei es unabsichtlich, der Konzertgenuss durch vermeidbare Verhaltensweisen verdorben wird.

    Was das Sternerestaurant angeht, empfehle ich Ihnen wärmstens DAS Restaurant schlechthin in Bonn, wo der Meister seit über 40 Jahren einen Michelin-Stern hält und zu jedem Gang an den Tisch kommt. Seine Frau ist die Seele des Hauses: diskret, freundlich, humorvoll und äußerst aufmerksam. Man fühlt sich dort zu keinem Zeitpunkt unwohl. Und das Essen ist ganz große Kunst.

    Nur für die Bewegungen Pipedown oder Lautsprecheraus ist die Jugendstilvilla an der Rheinallee ungeeignet, da auch hier leider Musik läuft. Und Sie sitzen bis zu sechs Stunden da und hören sechsmal dieselbe CD. Ganz leise…

    Das war der Stream of Consciousness am Neujahrstag. Vom Hölzchen aufs Stöckchen.

    Herzliche Grüße und ein gutes neues Jahr!

    Brian Cooper

  6. Lieber Herr Cooper,
    danke für Ihre ausführliche Antwort. Ich weiß gar nicht so recht, womit ich anfangen soll, vielleicht damit: Danke für das Kompliment und die Restaurantempfehlung!
    Sie haben Recht, Störungen durch Zuspätkommende sind so lästig wie unnötig. Hier sind die Opern-und Konzerthäuser gefordert, Regularien einzuführen und durchzusetzen. Zürich handhabt das so, wie Sie es von der Kölner Philharmonie erzählen. Warum das in Deutschland so aufgeweicht wurde?
    Nun, möglicherweise hat sich die unsägliche „Der Kunde ist König“-Mentalität manifestiert. Daraus resultiert eine Überhöhung der eigenen Bedürfnisse, ohne Rücksicht auf andere, frei nach dem Motto: Ich habe bezahlt, ich trag ein Krönchen, das steht mir zu, lassen Sie mich sofort hinein… Die Häuser gehen den Weg des geringsten Widerstandes.
    Sie wissen es doch wahrscheinlich am besten: Wer laut schreit, wird gehört. Darum haben doch stille oder auch hypersensible Menschen keine Lobby, sie sind eine leise Minderheit. Ich verstehe nun übrigens, dass es Ihnen nicht gelingen kann, über Nebengeräusche hinweg zu hören, so wie es mir möglich ist. Danke dafür, dass Sie mich für diesen Aspekt sensibilisiert haben!
    Dennoch möchte ich noch anmerken, dass Nebengeräusche in Konzerten schon des Öfteren Thema hier waren. Und natürlich musste ich oft schmunzeln oder hatte schon Ähnliches erlebt. Aber mir kam auch immer der Gedanke, dass ich, wenn es mich als Neuling auf diesen Blog verschlüge, furchtbar eingeschüchtert wäre, ob der vielen Fettnäpfchen, in die ich treten könnte, würde ich mich in ein Konzert wagen. Und ich finde es so wichtig, junge Menschen für klassische Musik zu begeistern, der Musik den Ruf des Elitären zu nehmen. Darum habe ich den Kommentar von Herrn Cinats gern aufgegriffen.
    Wenn die Menschen im Umgang miteinander achtsam und rücksichtsvoll sind, dürfte eigentlich nichts schief gehen, oder? Manchmal irritiert es mich, dass man das leider nicht mehr voraussetzen kann.
    Verraten Sie mir noch, welches Konzerthaus explizit zum Gebrauch von Handys aufruft? Das ist schon etwas, nun ja, irre.
    Ich bedanke mich für den interessanten Austausch und wünsche Ihnen ein friedvolles 2025 mit vielen stillen Momenten.
    Herzlich, Kathrin Beyer

    P.S.: Die Tatsache, dass vor „Schindlers Liste“ darauf hingewiesen wurde, dass der Film belastende Inhalte haben könnte, verstört mich!

    1. Liebe Frau Beyer,

      vielen Dank für Ihren Kommentar und die guten Wünsche!

      Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie schreiben: „Und ich finde es so wichtig, junge Menschen für klassische Musik zu begeistern, der Musik den Ruf des Elitären zu nehmen. (…) Wenn die Menschen im Umgang miteinander achtsam und rücksichtsvoll sind, dürfte eigentlich nichts schief gehen, oder? Manchmal irritiert es mich, dass man das leider nicht mehr voraussetzen kann.“

      Rücksichtnahme kann man leider wirklich nicht voraussetzen. Aber Marc Cinats hat einen wichtigen Punkt zur Sprache gebracht. Ich hatte das Glück, schon im einstelligen Alter ins Konzert mitgenommen worden zu sein; das Betreten eines Konzertsaals bedeutet daher keine Überwindung für mich, und ich habe einen Konzertbesuch auch nie als etwas Elitäres empfunden, sondern vielmehr als etwas, das für alle möglich sein sollte. Dabei gilt, wie überall sonst auch: Es gibt ein paar Regeln und Erwartungen, nix Wildes.

      Zum Schindler-PS darf ich klarstellen: Es war nur ein Beispiel; die Triggerwarnungen grassierten noch nicht, als der Film 1993 herauskam. Ich habe das Gefühl, dass Institutionen sich absichern, damit sich hinterher niemand beklagen kann – oder, schlimmer noch, damit hinterher niemand klagen kann, nach dem Motto: Ich wurde nicht gewarnt, dass ein Film über Nazis auch Gewaltszenen zeigen könnte.

      Was das Handy betrifft, fiel mir die Diskussion unter meinem Artikel über die Philharmonie de Paris ein:

      https://klassik-begeistert.de/warum-ich-nie-wieder-die-philharmonie-de-paris-betreten-werde-klassik-begeistert-de-10-januar-2023/

      Herzliche Grüße,

      Brian Cooper

      1. Guten Morgen,
        ich habe Klassik auch nie als elitär empfunden, nichtsdestotrotz hat sie diesen Ruf. Ich erwähnte es vor Kurzem in einem meiner Opernberichte, ich nutze meine Begleitkarte von Zeit zu Zeit, um jungen Menschen einen ersten (begleiteten) Opernbesuch zu ermöglichen, wenn Interesse besteht. Ich kann Ihnen versichern, dass die Verunsicherung bei den meisten recht groß ist. Allerdings war die Begeisterung hinterher noch größer!
        Ihren Artikel über Paris habe ich mit Vergnügen gelesen, auch die sich daran anschließende Diskussion.
        Und täglich grüßt das Murmeltier…!
        Alles Gute!
        Kathrin Beyer

        1. Ich als junger Mensch, der sich in der Philharmonie alleine wegen seines Alters bereits das ein oder andere Mal angefeindet oder zumindest argwöhnisch beäugt finden musste, kann nur sagen, dass die Klassische Musik selbst zwar nicht elitär sein muss. Ihr Publikum ist es aber leider in einem schon fast abschreckenden Maße. Der Ruf, „tote Musik“ für „alte Leute“ zu sein kommt jedenfalls nicht von ungefähr.

          Deswegen finde ich es gut, wenn Konzerthäuser mal den Mief rauskehren, sich für jüngeres Publikum öffnen und auch mal neue Umgangsformen erlauben. Es ist auch so schon schwer genug, junge Menschen mal für Kultur zu begeistern. Da muss man sie nicht auch noch aktiv behindern.
          Ob man dafür das Handy nun wirklich zu einer Konzertveranstaltung rausholen muss, mag Geschmackssache sein. Ich durfte inzwischen Formate kennenlernen, da hat es nicht nur funktioniert, sondern war sogar beeindruckend interaktiv. Meinen Mahler höre ich aber trotzdem lieber ohne Handydisplays vor, neben oder hinter mir.

          Und was das Öffnen des Saals für Nachzügler angeht: In einer Zeit, in der man uns die Fahrt mit Bus und Bahn regelrecht aufzwängen will, die sich gegenseitig doch nur noch in puncto Unzuverlässigkeit, Verspätung und Arbeitsverweigerung übertrumpfen, empfinde ich das schlicht als folgerichtig. „Gute“ Anbindung zum öffentlichen Nahverkehr bei Vernachlässigung oder bewusster Einschränkung des Individualverkehrs ist jedenfalls schon lange keine Werbung mehr, sondern in Deutschland fast schon ein Standortnachteil, wie von mir selbst erlebt:

          https://klassik-begeistert.de/prague-philharmonie-gabriel-bebeselea-dirigent-rachmaninow-und-dvorak-koelner-philharmonie-22-maerz-2023/

          Daniel Janz

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert